Mitmachen bei der Bodentierforschung – die Citizen Science App BODENTIERhoch4

Mit der Citizen Science-App BODENTIERhoch4 lernen Nutzer*innen Bodentiere kennen und bestimmen. Die Funde sind für Bodentierforscher*innen weltweit nützlich, Foto: Laila Ries, CC BY 4.0

Überblick

Um die bürgerwissenschaftliche Forschung an Bodentieren niedrigschwelliger zugänglich zu machen, wurde das Webportal und die mobile App „BODENTIERhoch4“ entwickelt. Für rund 260 heimische Bodentierarten, darunter insbesondere jene der Gruppen Doppelfüßer (Diplopoda), Hundertfüßer (Chilopoda) und Landasseln (Oniscidea), sind benutzungsfreundliche, interaktive Bestimmungsschlüssel für Browser und Smartphone entstanden. In Steckbriefen können sich die Nutzer*innen mit Verbreitung, Ökologie, Merkmalen und Aussehen dieser in der Öffentlichkeit wenig bekannten Tiere vertraut machen. Als Citizen Scientist können sie Fundmeldungen an eine Forschungsdatenbank übermitteln und somit aktiv an der Erforschung der für uns Menschen so wichtigen Bodentiere mitwirken.

Bibliographische Angaben

Institution
Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz
Teilprojekt
Forschung in Museen erklären, verstehen, mitmachen
Autor*innen
Lisa Janke, Kristin Baber, Jens Wesenberg, Peter Decker, Anika Neu, Raphael Weniger, KBS GmbH, Willi Xylander
Lizenz der Publikation
CC BY 4.0
Kontakt
Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz
post-gr@senckenberg.de

Entwicklung

An der Erforschung von Bodentieren arbeiten nur wenige hauptberufliche Wissenschaftler*innen und fast keine Citizen Scientists. Daher sind unsere Kenntnisse über die Verbreitung und Lebensweise oder mittel- bzw. langfristige Bestandsänderungen dieser Tiere nur punktuell und weniger aussagekräftig als bei anderen, „attraktiveren“ Tiergruppen, die seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten mit Unterstützung von Bürgerwissenschaftler*innen untersucht werden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es kaum gut illustrierte, deutschsprachige Bestimmungsliteratur gibt. Der überwiegende Teil der Bestimmungsliteratur für Bodentiere zielt in Vokabular und Erklärungsstil auf Spezialist*innen als Nutzer*innen ab.

All das sind Gründe, warum der Zugang zu den einheimischen Bodentieren – trotz oft anfänglichem Interesses – den meisten Bürger*innen verwehrt bleibt und es einen Mangel an größere Citizen Science Projekten zu diesen Tiergruppen gibt.

Inhaltliches Konzept

Die Anwendung „BODENTIERhoch4“ richtet sich an Nutzer*innen mit unterschiedlichen Kenntnissen – ob Anfänger*innen oder bereits erfahrene Personen. Ziel der Anwendung ist es, Menschen verschiedenster Altersgruppen Bodentiere näher zu bringen und sie zu motivieren, selbst an der Erforschung der biologischen Vielfalt des Bodens mitzuwirken. Durch die Übermittlung ihrer Funde an eine Forschungsdatenbank „edaphobase“ werden diese für die Wissenschaft zugänglich. Darüber hinaus soll die Anwendung auch bereits aktiven Spezialist*innen als nützliches Werkzeug für ihre Forschungen und Beobachtungen dienen.

Nutzende können Bodentiere mithilfe der Multiplattform:

  • Erleben: Die App und die Plattform sollen die Nutzer*innen dazu animieren, ihre Umwelt und deren Artenvielfalt zu entdecken und zu erleben, z.B. durch Steine umdrehen, im Komposthaufen buddeln, in der Laubstreu wühlen und Totholz untersuchen.
  • Erkennen: Anhand von interaktiven, verständlichen und erklärend illustrierten Bestimmungsschlüsseln und anschaulichen Artsteckbriefen können Nutzer*innen ihre Tiergruppen- und Artenkenntnisse aufbauen und vertiefen. Darüber hinaus zeigt die App optische Grenzen auf: Zur Bestimmung mancher Arten oder Gruppen müssten die Tiere präpariert und sehr viel genauer untersucht werden. Dies wird mit entsprechenden Hinweisen (z.B. Auge, Lupe, Mikroskop) markiert.
  • Erfassen: Das erworbene Wissen wenden sie an, um Tiere zu entdecken und zu bestimmen. Eigene Funde werden zusammengefasst und können dargestellt werden.
  • Erforschen: Die mit Hilfe der Anwendung bestimmten Bodentiere können als Fund an die Forschungsdatenbank „edaphobase“ gemeldet werden, wobei sie von Bodentierexpert*innen validiert werden. Dort werden die eigenen Entdeckungen in Form von Verbreitungspunkten auf einer Karte als dauerhaftes Ergebnis sichtbar. Über die Plattform können zudem Fundmelder*innen und Validierer*innen in Kontakt treten, z.B. für Rückfragen bei uneindeutigen Bestimmungen. Auf diese Weise werden die Nutzer*innen zu Bürgerwissenschaftler*innen und können aktiv an der Erforschung der Bodentiere mitwirken.

Technisches Konzept

Die inhaltlichen Ziele der App setzen eine möglichst flexible, barrierefreie und ortsunabhängige Nutzbarkeit voraus. Um diesen gerecht zu werden, wurde ein einfaches Xamarin-basiertes Projekt umgesetzt, das Android- und iOS-App-Entwicklung im Zusammenhang mit der Website bodentierhochvier.de bietet. Die Hauptfunktionen bestehen aus Seiten zur Identifizierung von Bodentieren anhand der Bestimmungsschlüssel, zum Erstellen und Bearbeiten von Datensätzen und zum Blättern durch die Beschreibungen von Tieren. Auf mobilen Endgeräten können Nutzende die Informationen auch per App aufrufen, sei es im Garten, im Museum, in der Universität oder zu Hause. Eine Bestimmung „von unterwegs“ ist auch ohne aktive Internetverbindung möglich. Um die eigenen Funde zu verwalten, ist jedoch die Nutzung der Webanwendung erforderlich. Das technische Konzept orientierte sich an bestehenden und gut funktionierenden Citizen Science Angeboten anderer Institutionen, wie der Anwendung „Insekten Sachsen“.

Implementierung und Inbetriebnahme

Die Entwicklung der Anwendung begann mit der Ausarbeitung erster Ideen 2017. Ab 2019 wurden Artenlisten erstellt, Abbildungen für die Bestimmungsschlüssel zusammengetragen und eine Merkmalsmatrix erstellt. Anfang 2020 wurde das Webportal zur Bestimmung und Erfassung von Bodentieren released und stieß durch ein strukturiertes Pressekonzept in der Folge auf großes Medienecho. Die Website https://bodentierhochvier.de umfasst:

  • Ausführliche Einführungstexte zu den Bodentieren allgemein, den Doppelfüßern, den Hundertfüßern und den Landasseln sowie zu deren Bestimmung.
  • Illustrierte Artsteckbriefe mit Angaben zu Verbreitung, Ökologie, Rote Liste-Status, Merkmalsdiagnose und weiterführender Literatur für die 242 in Deutschland vorkommenden bzw. für Deutschland zu erwartenden Arten der Doppelfüßer, Hundertfüßer und Landasseln. Die darin dargestellten Verbreitungskarten und Phänologiedaten werden live aus der Forschungsdatenbank „edaphobase“ abgefragt.
  • Einen interaktiven, illustrierten Bestimmungsschlüssel zu den am häufigsten anzutreffenden Bodentiergruppen in mitteleuropäischen Böden. Der Schlüssel beschränkt sich auf Tiere mit einer Größe ab 0,2 mm, die mit dem Auge, einem (Makro-)Foto, einer Lupe oder einem Mikroskop mit maximal 20-facher Vergrößerung bestimmbar sind.
  • Zwei interaktive, illustrierte Schlüssel zur Bestimmung der einzelnen Ordnungen der Doppelfüßer und Hundertfüßer und insgesamt 10 interaktive, illustrierte Schlüssel zur Bestimmung der Arten der Doppelfüßer, Hundertfüßer und Landasseln; außerdem Schlüssel zur Bestimmung weiterer Großgruppen.
  • Funktionen zur Aufnahme, Verwaltung und Meldung von Bodentierfunden sowie der Möglichkeit der Übermittlung von Fotos.
  • Funktionen zur Registrierung der Nutzer*innen und zur Benutzer*innenverwaltung.
  • Backendfunktionen für Administrator*innen und die Validierer*innen der Bodentierfunde.
  • Eine Schnittstelle zur Übermittlung von Fundmeldungen an „edaphobase“.
Eine reiche Bebilderung kennzeichnet das Webportal und die App BODENTIERhoch4 und erleichtert den Einstieg in die Auseinandersetzung mit den unbekannten Arten, Foto: Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz, CC BY 4.0

Die zum Webportal BODENTIERhoch4 zugehörigen Apps (iOS und Android) wurden im Mai 2021 in den Stores released und wurden seitdem fortlaufend getestet.

Eine Evaluation zur Nutzerfreundlichkeit der mobilen Anwendung ergab eine Vielzahl von Ideen zur Verbesserung der App, um die Vermittlung der Bestimmungsmerkmale zugänglicher zu machen. Gleichzeitig konnten auch Verbesserungspotentiale für das Webportal ausgearbeitet werden. Nach Absprachen mit dem Entwicklerteam entstand daraus eine Priorisierungsliste für die Weiterentwicklung der Multiplattform.

Inhaltlich betrafen die Neuerungen vor allem die Navigation innerhalb der mobilen Anwendung. Durch ein einfacheres Design, das beispielsweise mit Icons von Bodentieren arbeitet, sollen Nutzer*innen die Hauptfunktionen der Anwendung leichter erkennen. Dazu trägt auch die Ergänzung eines graphisch ansprechenden Tutorials bei, welches den Nutzenden beim Start der App die wichtigsten Funktionen erklärt. Auch die Menge an Abbildungen in den Bestimmungsschlüsseln wurde erhöht, um die einzelnen Merkmale besser sichtbar und vergleichbar zu machen. Um eine bessere Nutzbarkeit unter Feldbedingungen zu gewährleisten, wurde das Fundmeldeprotokoll angepasst. Neuerungen innerhalb der Website betrafen unter anderem Kurzsteckbriefe zu allen Tiergruppen, die nicht weiter auf Artniveau bestimmt werden konnten.

Zur Vermittlung von bodenzoologischem Grundlagenwissen in Kombination mit einer umfassenden Einweisung in die Anwendung BODENTIERhoch4, wurden im Jahr 2021 deutschlandweit 25 Schulungen von einer Projektmitarbeiterin mit Fokus Citizen Science durchgeführt. Das eigens entwickelte Schulungskonzept umfasste das gemeinsame Bestimmen von in Ethanol konservierten, sowie auch lebenden Bodentieren, unter Einsatz optischer Vergrößerungsmittel. Nach einer Einweisung in die einzelnen morphologischen Bestimmungsmerkmale der Tiergruppen Asseln, Hundertfüßer und Doppelfüßer, wurden die wichtigsten Funktionen der App und Webanwendung besprochen und ausprobiert. Daraufhin wurden Bodentiere gemeinsam mithilfe von BODENtTIERhoch4 bestimmt und aufkommende Fragen besprochen. Auch wurden Hintergrundinformationen zu den bodenbiologischen Funktionen von Bodentieren und Hinweise zu den Sammelmethoden gegeben. Bei diesen Veranstaltungen konnten wichtige Erfahrungen gesammelt werden, anhand derer wiederum das Schulungskonzept weiterentwickelt wurde.

Eine Person bestimmt eine Assel mit der Bodentierhoch4 App auf dem Smartphone
Bei Schulungen wurden mithilfe der App gefundene Bodentiere bestimmt und gemeldet, Foto: Laila Ries, CC BY 4.0

Nachnutzung und Weiterentwicklung

Am Senckenberg Museum für Naturkunde wird die Anwendung stetig als Teil des museumspädagogischen Angebots zur Bodenzoologie genutzt. Besonders fruchtbar hat sich das Anbieten von BODENTIERhoch4 gemeinsam mit unserer VR Abenteuer Bodenleben erwiesen, etwa bei Aktionstagen oder Museumsfesten, bei dem sich die beiden unterschiedlichen Zugänge zum Lebensraum Boden sinnvoll ergänzen. Die App hat weiterhin viel Entwicklungspotenzial, so können neue Bodentiergruppen, wie z.B. Laufkäfer, Kurzflügelkäfer oder Spinnen, ergänzt werden. Dies ist zukünftig über den Upload einer aktualisierten Merkmalsmatrix im Backend der Anwendung möglich. Die Übertragung der generierten Daten in die Forschungsdatenbank „edaphobase“ stellt eine nachhaltige Nutzbarkeit und eine weitreichende Verfügbarkeit der erhobenen Biodiversitätsdatensätze für die Forschung sicher. Eine langfristige Nutzungsmöglichkeit ist auch die Integration der Anwendung in Bestimmungskursen in der akademischen Lehre.

Die Quelldateien mitsamt technischer Dokumentation steht anderen Kultureinrichtungen zum Download und zur individuellen Anpassung auf GitHub zur Verfügung. Weitere Elemente der Nachnutzung finden Sie im Anhang dieser Publikation.

Die Anwendung besteht aus zwei Komponenten: Die native App (Android, iOS) kann im Google Play Store oder App Store kostenfrei heruntergeladen werden, die Webanwendung steht unter www.bodentierhochvier.de kostenfrei zur Verfügung. Sie wurde als Open Source Projekt programmiert und ihr Quellcode unter einer GNU General Public License V2 auf GitHub verfügbar gemacht. Das Schulungskonzept und die Learnings aus den durchgeführten Schulungen, Fragebögen und Evaluationsergebnissen sowie ein Publikationsverzeichnis zur Dokumentation der Pressestrategie und -wirksamkeit sind unter einer Creative Commons Lizenz (CC BY-SA 4.0) verfügbar.

Evaluierung

Mit zwei internen Evaluationen, bei denen Tester*innen diversen Alters, mit verschiedenen Erfahrungsspektren hinsichtlich digitaler Anwendungen und mit unterschiedlichem bodenzoologischen Vorwissen, beteiligt waren, wurde die Nutzer*innenfreundlichkeit der Anwendung untersucht. Die Teilnehmenden wurden gebeten, im Anschluss an die Verwendung der Anwendung bzw. im Nachgang einer Schulung einen Papierfragebogen auf Likert-Skalenbasis auszufüllen. Die Evaluationsergebnisse und darin verwendeten Fragebögen sind hier zu finden:

Testings und Evaluationen zeigten Weiterentwicklungspotentiale für die Anwendung auf, die gemeinsam mit dem Entwicklerteam priorisiert und umgesetzt wurden, Foto: Laila Ries, CC BY 4.0

Anhang

Schulungskonzept (PDF)

Learnings zum Schulungskonzept (PDF)

Evaluationsergebnisse und Fragebögen zur Anwendung und Schulung (PDF)

Publikationsverzeichnis zur Dokumentation der Pressestrategie und -wirksamkeit (PDF)

Quellenverzeichnis

Neu, Anika und Andreas Allspach, Kristin Baber, Peter Decker, Willi E. R. Xylander. “BODENTIERhoch4: A new citizen science tool for the determination and monitoring of soil organisms.” Soil Organisms 94, no. 1 (2022): 29–39.

Anika Neu. “Bodentiere bestimmen und erforschen.” Expedition Erdreich (2021). https://www.expedition-erdreich.de/de/bodentiere-bestimmen-und-erforschen-1847.html

Decker, Peter. “Edaphokeys: An information portal, interactive identification key and recording application for woodlice, millipedes and centipedes (Isopoda: Oniscidea; Myriapoda: Diplopoda, Chilopoda) of Germany.” In 18th International Congress of Myriapodology. Program and Abstracts. Hungarian natural History Museum & Hungarian Biological Society, edited byDányi, L., Korsós, Z., Lazányi, E.: 29. Budapest, 2019.

Decker, Peter, and Jens Wesenberg, Willi E. R. Xylander. “Mit dem Smartphone in den Boden abtauchen.” Senckenberg – Natur – Forschung – Museum 149, no. 7–9 (2019): 119–121.

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