6. Januar 2022
Vermittlungskonzepte, Wissenstransfer

Eintauchen in die Berliner Filmwelt mit Augmented Reality!

Wie eine Anwendung das Museum in den Stadtraum erweitern kann und welche Chancen und Herausforderungen diese Aufgabe bringt erzählen uns Kristina Jaspers, Vera Thomas und Inga Hallsson vom Teilprojekt der Deutschen Kinemathek!

Hinter den Kulissen der Teilprojekte
Hinter den Kulissen der Teilprojekte: Mit der Filmkamera durch Berlin, Grafik: Stiftung Preußischer Kulturbesitz / museum4punkt0 / Julia Rhein, CC BY 4.0

Das Teilprojekt heißt „Mit der Filmkamera durch Berlin“ – berichtet uns kurz zur Einführung, was Ihr vorhabt!

Die Deutsche Kinemathek entwickelt eine App, mit der man Berlin mit Filmen erkunden kann. Dabei spielt Augmented Reality (AR) eine besondere Rolle. Welche Filme wurden in Berlin gedreht, welche Geschichten werden hier erzählt und mit welchen technischen Mitteln? Das möchten wir an drei Standorten möglichst interaktiv veranschaulichen. So lässt die App Filmkulissen mit AR wieder auferstehen, Filmschaffende berichten von Dreharbeiten und das eigene Smartphone wird zur historischen Kamera. Filmische Techniken und Ästhetiken können ganz einfach ausprobiert und geteilt werden. Mit Making-of-Material und spielerischen Elementen wie Such- und Quizaufgaben möchten wir zudem auf unser Haus neugierig machen und das Museum in den Stadtraum erweitern.

Wie setzt sich Euer Team zusammen, welche Abteilungen des Museums bindet Ihr wie in den Konzeptions- und Entwicklungsprozess ein?

Wir haben zu Beginn der Projektphase ein Team gegründet, das sich aus Kolleg*innen der Abteilungen Ausstellungen, Sammlungen, Bildung und Vermittlung sowie Kommunikation zusammensetzt. Für das Projekt angestellt wurden außerdem eine Projektkoordinatorin, ein Experte für Kameratechnik und ein Scan Operator. In wöchentlichen Teamtreffen wird über Inhaltliches wie Organisatorisches gesprochen und Aufgaben werden sinnvoll verteilt. Dabei hat jede*r von uns im Laufe der Entwicklung auch Aufgaben übernommen, die nicht zur alltäglichen Arbeit gehören und Neues dazugelernt.

In der Konzeptionsphase haben wir Expert*innen aus dem Bereich Vermittlung hinzugezogen, haben mit einem Innovationscoach Interviews mit der Zielgruppe geführt und den ersten Prototypen erstellt. Da die Entwicklung einer multimedialen App in dieser Form für alle neu war, war uns wichtig, Expertise von außen einzuholen. Sehr aufschlussreich zur Frage von Machbarkeit und Kosten bestimmter Features waren dann auch die Gespräche mit diversen Entwicklerfirmen.

Ihr möchtet mit Eurer Anwendung die Zielgruppe der 20- bis 35-Jährigen erreichen, warum gerade diese und mit welchen Methoden und Themen möchtet Ihr sie erreichen?

Es ist wichtig, die nachwachsende Generation für das Museum zu interessieren. Mit der App können wir die jungen Leute draußen in der Stadt abholen. Die App ist kostenlos, man steht nicht vor der Entscheidung, Geld für ein Ticket auszugeben. Unser Ziel ist, sie kurzweilig, informativ und spielerisch zu gestalten. Indem die App Anreize schafft, sich vor virtuellen Filmkulissen zu fotografieren oder mit den speziell entwickelten Kamerafiltern selbst Videos im Vintage-Style aufzunehmen, geht sie auf das Bedürfnis nach Interaktion auf den sozialen Kanälen ein.

Wenn wir mit der App junge Leute, die mit dem deutschen Film bisher wenige Berührungspunkte hatten dafür interessieren können, ist das ein großer Erfolg. Es wird Verweise auf Ausstellungsobjekte und weiterführende Informationen im Museum geben. Nicht alle Nutzer*innen werden anschließend ins Museum kommen, aber einige werden sicherlich neugierig auf mehr, besuchen unsere virtuellen Sammlungen, unsere Online-Workshops oder andere digitale Angebote unseres Hauses.

Berlin ist voller markanter Spielorte! Ihr musstet für Eure Anwendung eine Auswahl treffen, welche habt Ihr aus welchen Gründen gewählt? Welche Überlegungen haben Eure Entscheidungen beeinflusst?

Fest stand für uns der Potsdamer Platz als Ausgangspunkt. Er ist in direkter Nähe des Museums gelegen und seine wechselvolle Geschichte spiegelt sich in zahlreichen Filmproduktionen der letzten 100 Jahre wider. Schwieriger war es, aus der großen Vielfalt Berliner Drehorte weitere Stationen der App festzulegen. Ein Drehort im ehemaligen Ostberlin sollte dabei sein, und so fiel die Wahl auf den Alexanderplatz, an dem auf engem Raum sehr unterschiedliche Filmgeschichten erzählt werden können und der bei Touristen beliebt ist. Wichtig war uns auch, als Gegenpol einen Berliner Kiez-Ort aufzunehmen, einen Ort, an dem wir unsere Zielgruppe niedrigschwellig treffen. Das ist Kreuzberg 36, rund um das Kottbusser Tor.

Bestimmte Geschichten lassen sich nur an bestimmten Orten erzählen. Die jeweiligen Locations bestimmen die filmische Atmosphäre, bieten eine historische oder soziale Verortung – das soll durch die drei sehr unterschiedlichen Standorte, die alle mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen sind, deutlich werden.

Unsere Leser*innen interessiert natürlich besonders, ob und warum Ihr Ideen verworfen habt, gab es zum Beispiel unerwartete Entwicklungen? Berichtet uns von Eurem Entscheidungsprozess!

In den ersten Interviews während des Design-Thinking-Prozesses haben wir herausgefunden, dass viele der 20- bis 35-jährigen bei einem Stadtrundgang nicht unbedingt ständig aufs Handy schauen wollen. Podcasts und Audiowalks sind aktuell sehr populär. Wir haben uns daher eine Weile (auch) mit dem Thema Audiowalk auseinandergesetzt, Autor*innen und Anwendungen recherchiert. Nur wurde zunehmend klar, dass das nicht alles sein kann. Wir wollten doch Filmgeschichte im Stadtraum sichtbar machen!

Von Anfang an haben wir uns sehr für Augmented Reality als Tool zum immersiven Eintauchen in die Berliner Filmwelt interessiert. In der Arbeitsgruppe des Verbundprojekts tauschen wir uns regelmäßig zu unseren Ideen und Erfahrungen mit AR aus. Als wir dann ein Berliner Startup fanden, das sich auf Stadttouren mit AR spezialisiert hat, fiel die Entscheidung nicht schwer. Der Vorteil von AR gegenüber VR ist, dass es durchlässig ist und eine Interaktion mit Räumen und Menschen ermöglicht – und man braucht dafür nur sein eigenes Smartphone.

Auch die Entscheidung für die Art der App war nicht leicht: Ausgegangen von einer klassischen nativen App entdeckten wir die Vorzüge einer Web-App, die man nicht herunterladen muss, die systemunabhängig und in der Entwicklung günstiger ist und dadurch auf den ersten Blick barrierefreier erscheint. Durch Gespräche mit verschiedenen Entwickler*innen stellte sich aber heraus, dass eine native App für unser Vorhaben passender ist. Zum Beispiel läuft sie bei Verwendung von AR-Inhalten stabiler, Freigaben müssen nur einmal erteilt werden. Die Hürde des Downloads ist somit da, doch das Nutzungserlebnis profitiert davon.

Platzierung und Test der AR-Objekte
Platzierung und Test der AR-Objekte am Standort Heinrichplatz in Kreuzberg, Foto: Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, CC-BY 4.0

Woran arbeitet Ihr selbst gerade konkret und welche sind Eure nächsten Schritte?

Wir überarbeiten gerade die erste Version des Audioguides und der Klapptexte. Die Audiotexte testen wir mit Studierenden vor Ort und zusammen mit den dort gezeigten AR-Objekten. Werden genügend Informationen geboten? Ist der Audioguide zu lang? Fühle ich mich unterhalten? Es geht nun darum, die Feinheiten abzustimmen, das Timing von auditiven und visuellen Elementen.

Ein starkes Marketingkonzept wird für den Erfolg der App essentiell sein, da sie sich gegen viele andere kulturelle Angebote, auch im Bereich der Stadtbesichtigung, durchsetzen muss. Deshalb sind wir eine Kooperation mit der Hochschule Macromedia eingegangen, deren Studierende im Rahmen ihres Praxisseminars eine Marketingstrategie für die App entwickeln. Ab drei Monate vor dem Launch im April 2022 sollen ausgewählte Werbemaßahmen geplant und umgesetzt werden.

Wir denken natürlich auch schon über den Förderzeitraum des Projektes hinaus und da wirken die Anregungen, die wir durch museum4punkt0 erhalten haben, auch in andere Bereiche unserer Museumsarbeit hinein. Die sogenannten Kamerafilter stoßen beispielsweise bei mehreren Museen auf großes Interesse, da denken wir gerade über mögliche Nachnutzungen nach. Auch überlegen wir, wie wir AR zukünftig in unseren Sonderausstellungen sinnvoll einsetzen können. Insbesondere im Kontext von Concept Art und Szenenbild wäre es reizvoll, wenn man sich ganze Sets und Kulissen im Originalformat in den Ausstellungsraum holen könnte. Und wir beschäftigen uns mit Möglichkeiten der Personalisierung: So wie die App-Tour bei allen Nutzenden zu unterschiedlichen Routen und Ergebnissen führen wird, möchten wir in Zukunft auch den Ausstellungs-Rundgang stärker individualisieren und auf die Interessen der Besuchenden ausrichten.

Und zum Abschluss noch: Was ratet Ihr Kolleg*innen aus dem Kulturbereich, die ein ähnliches Projekt angehen möchten?

Das Wichtigste sind die Inhalte. Die ersten Fragen sollten immer lauten „Was möchten wir erzählen?“ und „Wem möchten wir etwas erzählen?“ Welches Ausgangsmaterial (Bild, Video, 3D-Modelle, Text, Audio, Animationen) steht mir zur Verfügung? Der Ausgangspunkt sollte nicht die Festlegung auf eine bestimmte Technik (AR, VR etc.) sein.

Wenn man sich dann auf ein technisch neues Terrain wagt, hilft der Austausch mit anderen Institutionen, die Ähnliches probieren. Wir konnten in der AR-Arbeitsgruppe des Verbunds gut über Erfahrungen und auch Probleme sprechen und Kontakte austauschen.

Bei der Verwendung von nicht selbst erstelltem Film- und Fotomaterial und Musik sollte ein großzügiges Budget für Lizenzen und Rechte eingeplant werden. Auch ist der Zeitaufwand für die Anfrage und Klärung von Lizenzen nicht zu unterschätzen. Und vor allem sollte man viel Zeit zum Testen einplanen! Die verschiedenen Testphasen haben uns sehr geholfen, insbesondere die erste Phase, bei der wir den Nutzer*innen beim Navigieren durch unseren Prototypen quasi über die Schulter schauen durften. Aber auch der Abgleich vor Ort war wichtig: Am Computer kann man die schönsten Ideen entwickeln, aber der Berliner Stadtraum – mit Straßenlärm, Baustellen und wechselnden Witterungsverhältnissen – stellt ganz andere Anforderungen als ein geschützter Museumsraum. Das macht dieses Projekt aber auch besonders spannend!

Fragen von Dr. Silke Krohn und Mira Hoffmann, Antworten von Kristina Jaspers, Vera Thomas und Inga Hallsson

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