Auf der Spur der verschwundenen Stadt. Eine digitale Reise durch Raum und Zeit

Zu sehen ist ein virtuelles Modell des Museums für Hamburgische Geschichte.
Virtuelles Modell des Museums für Hamburgische GeschichteFoto: Museum für Hamburgische Geschichte – Stiftung Historische Museen Hamburg, CC BY-NC-ND 4.0

Überblick

Die Spolien-App „Auf der Spur der verschwundenen Stadt“ ermöglicht mit 3D- und AR-Technologie einen multimedialen Zugang zur Architektur des Museums für Hamburgische Geschichte. 100 von insgesamt 300 historischen Architekturfragmenten, die in die Wände des Museumsgebäudes als Spolien eingebaut sind, können entdeckt werden. Zumeist stammen die Spolien von Häusern des 17. und 18. Jahrhunderts, die der Architekt Fritz Schumacher beim Bau des Museums wiederverwendet hat. Im Museumsgebäude haben sie ihre ursprüngliche Funktion und den architektonischen Kontext verloren. Wie sahen diese historischen Gebäude aus, von denen die Spolien ursprünglich stammen? Wie gehören die überall am Museum verteilten Fragmente zusammen? Diese Fragen werden in der App mithilfe eines virtuellen 3D-Modells des Museumsgebäudes, eines interaktiven Stadtplans und eines Rätselspiels beantwortet.

Bibliographische Angaben

Institution
Museum für Hamburgische Geschichte
Teilprojekt
Auf der Spur der verschwundenen Stadt. Eine digitale Reise durch Raum und Zeit
Autor*innen
Bettina Probst, Kerstin Petermann, Allan Gretzki
Veröffentlicht
13.07.2023
Lizenz der Publikation
CC BY 4.0
Kontakt
Museum für Hamburgische Geschichte
Stiftung Historische Museen Hamburg (SHMH) / Museum für Hamburgische Geschichte (MHG)
info@mhg.shmh.de

Projektidee

Ausgangspunkt der Projektidee war das außergewöhnliche Gebäude des Museums für Hamburgische Geschichte von Fritz Schumacher, das bereits außen am Haus auf die Baugeschichte der Stadt und damit auf einzelne Aspekte der Stadtgeschichte verweist. Das Außergewöhnliche sind zahlreiche historische Architekturfragmente, die sowohl von öffentlichen Gebäuden als auch von privaten Häusern des 17. und 18. Jahrhunderts stammen und als Spolien in die Fassaden und Wände des 1922 eröffneten Museums eingebaut wurden. Zu welchen Häusern diese Spolien einst gehörten, warum diese Häuser zerstört wurden, wo sie im Stadtraum früher standen und wer in ihnen lebte, bleibt Einzelbesucher:innen allerdings verborgen. Um diese Besonderheit des Museumsgebäudes informativ und anschaulich zu vermitteln, wurde eine App entwickelt, die mobil sowohl am und im Museum als auch im Stadtraum nutzbar ist. Die Spolien sollten dabei als Mittler zwischen Stadt und Museum dienen und beide Räume verbinden. Offen war zu Beginn die Frage, ob es sich dabei um eine Progressive Web App oder Native App für Android und iOS-Betriebssysteme handeln sollte, siehe auch Technisches Konzept.

Zu sehen ist der Innenhof des Hamburger Museums.
Innenhof des Museums, Foto: Museum für Hamburgische Geschichte, CC BY 4.0

Inhaltliches Konzept

Bereits zu Beginn der Projektentwicklung und in engem Austausch mit der beauftragten Agentur jangled nerves aus Stuttgart konkretisierte sich die Idee, zehn der insgesamt rund 300 Spolien des Museums genauer in den Blick zu nehmen, diese mithilfe eines virtuellen Zwillings des Museumsgebäudes vor Ort zu finden und als 3D-Scans aus der Nähe zu betrachten. Im Stadtraum wurden 40 Orte zerstörter Gebäude ausgewählt und per GPS-Daten in eine Karte eingetragen. Da der Architekt des Museums Fritz Schumacher oftmals mehrere Bauteile von ein und demselben Gebäude wiederverwendet hat, lassen sich insgesamt 100 Spolien mit diesen 40 Orten verknüpfen. Somit können die Spolien, die im realen Raum über das ganze Museumsgebäude verteilt sind, im digitalen Raum wieder zusammengeführt und mit ihren Ursprungsgebäuden und originalen Standorten verbunden werden. Mit der Methode des Site Specific Storytelling sollten Informationen und historisches Bildmaterial auf die Orte am Museum und in der Stadt bezogen werden. Die App lädt dazu ein, das Museumsgebäude zu erkunden und auf Spaziergängen die sich stetig verändernde Stadt Hamburg zu entdecken. Auch wird eine spannende Geschichte gezählt, die den User interaktiv und spielerisch einbindet und seinen detektivischen Spürsinn weckt. Gemeinsam mit der beauftragten Agentur entstand ein interaktives Rätsel, angelehnt an ein Mystery-Quest. Erzählt wird eine fiktive Geschichte, die in der Vergangenheit spielt, die Nutzer:innen in der Gegenwart aber direkt anspricht. Ausgewählte Spolien liefern entscheidende Hinweise, um eine verschlossene Schatzkiste zu öffnen, in der sich das Familiengeheimnis des Protagonisten befindet. Hierfür müssen kleinere, spielerische Aufgaben gelöst werden.

Diese unterschiedlichen inhaltlichen Zugänge sind auf drei Module verteilt: das Modul Museum erschließt über den virtuellen Zwilling des Museumsgebäudes zehn ausgewählte Spolien in 3D, das Modul Stadt bietet mit einer Karte Orientierung bei dem Auffinden der ursprünglichen Standorte der Spolien bzw. ihrer Gebäude im Stadtraum, das Modul Rätsel animiert die Nutzer:innen, das interaktive Rätsel spielerisch zu lösen.

Zu sehen sind drei Screenshots der App.
Screenshots der App, Das Südportal der St. Petri Kirche, im Modul Museum und im Modul Stadt, CC BY 4.0
Zu sehen sind zehn Screenshot mit Objekten.
·         Screenshots der App (iPad), Modul Rätsel, CC BY 4.0

Technisches Konzept

Anders als ursprünglich geplant, wurde zur Umsetzung des inhaltlichen Konzepts in ein digitales Vermittlungstool keine Progressive Web App, sondern eine Native App für Android und iOS-Betriebssysteme entwickelt, da diese für komplexere Anwendungen mit 3D- und AR-Technologie geeigneter erschien.

3D- und AR-Technologie wurden im Modul Museum eingesetzt, das für eine Nutzung am und im Museum vorgesehen ist. Im Modul Museum können die Nutzer:innen das 3D-Museumsgebäude, den virtuellen Zwilling, durch Drehen und Zoomen erkunden und zwischen den Stockwerken wechseln. Zehn Spolien sind farblich markiert, können ausgewählt und jeweils in einer 360 Grad-Ansicht durch interaktives Rotieren von allen Seiten im Detail hochauflösend betrachtet werden. Über ein Auswahlmenü lassen sich Texte und historische Abbildungen abrufen. Zusätzlich zum 3D-Modus können die digitalen Modelle der Spolien im Augmented Reality Modus in die reale Umgebung der Nutzer:innen eingeblendet werden. So wird ein immersiver Moment geschaffen, der ein exploratives Entdecken und ein Gefühl für Größe und Proportionen der realen Objekte ermöglicht.

Das Modul Stadt bietet einen kartenbasierten Zugang. In einem interaktiven Stadtplan von Hamburg sind 40 zerstörte Gebäude bzw. ihre ursprünglichen Standorte markiert. Zwischen dem 3D-Museum und der Karte Hamburgs können die Nutzer:innen hin- und herspringen. Über die am unteren Bildschirmrand integrierte Liste im Aufklappmenü können bequem weitere Spolien entdeckt und erkundet werden. Der Kartenausschnitt passt sich der jeweils ausgewählten Spolie automatisch an.

Um die Spolien digital in bestmöglich hoher Auflösung betrachten zu können, musste das Scanverfahren mit Hilfe einer Drohne durchgeführt werden. Dies war die praktischste und präziseste Variante, da anderweitig für jedes der meterhohen Bauteile eine aufwendige Gerüstkonstruktion hätte errichtet werden müssen, um für die Scanvorgänge den geeigneten Winkel zwischen Scanner und Objekt zu gewährleisten. Für die 3D-Scans wurde eine Kombination aus LiDAR (Light Detection and Ranging) Scan und Photographie bzw. Photogrammetrie gewählt. So konnte einerseits die exakte Entfernungsmessung zwischen Objekt und Scanner ermittelt und andererseits die Oberflächentextur der Objekte hochauflösend fotografisch erfasst werden. Beide auf diese Weise gewonnenen Datensätze wurden aufwendig bereits vor Ort zusammengerechnet. Dieser Aufwand war notwendig, um durch eine direkte Kontrolle sicherzustellen, dass beim Zusammenlegen der gewonnenen Daten keine Abweichungen entstehen. Insgesamt wurden über 4350 Fotos gemacht und durch den Photogrammetrie Prozess ca. 200 GB an 3D-Daten errechnet. Ein schwieriges Unterfangen bei diesem Verfahren war unter anderem das Einhalten einer präzisen Flugroute, da diese nicht vordefiniert oder programmiert war. Alle Flüge mussten von den Piloten mit äußerster Sorgfalt mehrmals manuell durchgeführt werden, so dass die gesamte Oberfläche des jeweiligen Scanobjekts für alle technischen Verfahren komplett erfasst werden konnte.

Zu sehen sind drei Screenshots der App.
Screenshots der App, Das Südportal der St. Petri Kirche, im Modul Museum und im Modul Stadt, CC BY 4.0
Zu sehen ist ein Smartphone mit einer Statue als AR-Anwendung von Friedrich Barbarossa.
Test des Prototyps am Tag des offenen Denkmals 2022, Fotos: Museum für Hamburgische Geschichte, CC BY 4.0

Nachnutzung und Weiterentwicklung

Die bereitgestellten Codes sind nachnutzbar und für Android- und iOS-Betriebssysteme anwendbar. Nachgenutzt werden können auch die 3D-Modelle der zehn ausgewählten Spolien.

Die App kann auf dieser Basis auch inhaltlich weiterentwickelt und ausgebaut werden. Das Modul Rätsel, angelehnt an ein Mystery Quest, ist als Vertical Slice im Sinne eines spielbaren Auszugs eines noch nicht veröffentlichten Gesamterlebnisses erstellt. Der Vertical Slice bietet einen Querschnitt durch die „Schichten“, die die Struktur der Software-Codebasis bilden. Der Ausschnitt beinhaltet somit einen Großteil der Features möglicher zukünftiger Versionen, ist aber nur mit einem Auszug der Inhalte gefüllt. Er bietet dennoch ein in sich geschlossenes User-Erlebnis. Die Geschichte ist verständlich und abgeschlossen, aber so konzipiert, dass sie weitererzählt werden kann.

Bereitstellung der Nachnutzung

Die Quelldateien mitsamt technischer Dokumentation stehen anderen Kultureinrichtungen zum Download und zur individuellen Anpassung auf GitHub zur Verfügung. Weitere Elemente der Nachnutzung finden Sie im Anhang dieser Publikation.

Evaluierung und Usability Tests

Bereits nach sechs Monaten Projektlaufzeit fand eine Nutzer*innenbefragung anhand eines ersten Prototyps statt, an der auch zwei Mitarbeiter der Agentur jangled nerves teilnahmen. Im Rahmen mehrerer geführter Rundgänge am Tag des offenen Denkmals 2022 konnte mittels des Moduls Museum die Funktionalität des virtuellen 3D-Museumsgebäudes und das Betrachten von zwei 3D-Spolien getestet werden. Da die Struktur der gesamten App schon angelegt war, wurde zusätzlich abgefragt, ob auch Interesse an einem Kartenmodul und an einem spielerischen Zugang zu den Inhalten besteht. Anhand eines Fragebogens wurden qualitative Interviews durchgeführt. Die Fragen konnten mithilfe einer Skala von 1-10 oder mit Ja/Nein beantwortet und zugleich in einem freien Textfeld Verbesserungsvorschläge gemacht werden. Die Ergebnisse der Befragung flossen in die weitere Entwicklung der App ein.

Zum Ende der Projektlaufzeit wurde ein abschließender Praxistest durchgeführt. Ziel war es, die Usability anhand möglichst vieler unterschiedlicher Endgeräte (Handys und Tablets mit Android- und iOS-Betriebssystemen) zu testen. Für den Usability -Test wurde auf standardisierte Fragen gemäß SUS (System Usability Scale) zurückgegriffen, da es in diesem Stadium vor allem um die Handhabbarkeit der digitalen Anwendung ging. Die Ergebnisse werden auch nach Projektende für die Entwicklung zukünftiger digitaler Vermittlungstool genutzt und stehen auf Nachfrage auch weiteren Interessierten zur Verfügung.

Erfahrungen

Dass bereits nach einem halben Jahr Projektlaufzeit ein erster Prototyp getestet werden konnte, war zwar sportlich, aber für die weitere Entwicklung der App hilfreich. So konnte schon in einem frühen Stadium Feedback eingeholt werden. Hilfreich war zudem, dass sowohl beim Testing am Tag des offenen Denkmals als auch im weiteren Projektverlauf bei einem Verbundtreffen und der Werkschau auf der Abschlussveranstaltung von museum4punkt0 ein Mitarbeiter der ausführenden Agentur anwesend war und in direkten Gesprächen wichtige Hinweise erhalten konnte. Diese enge Zusammenarbeit erwies sich im Hinblick auf das Zusammenspiel von Inhalt und Technik als äußerst zielführend.

Für die Ausarbeitung des Moduls Rätsel wäre ein wenig mehr Zeit hilfreich gewesen, da die inhaltliche Abstimmung des Drehbuchs sich aufwendiger gestaltete, als abzusehen war.

Zu sehen ist ein Tablet, das ein virtuelles Tor im Raum zeigt.
·         Augmented Reality auf dem Verbundtreffen in Hamburg 2023, Foto: Museum für Hamburgische Geschichte, CC BY 4.0

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