30. Juni 2021
Verbundarbeit, Vermittlungskonzepte, Wissenstransfer

Vermittlung im 3D-animierten Raum: Wie Theatrum mundi und Sternenuhr wieder in Bewegung kommen

Auf dem Smartphone mit dem Nokturnal die Uhrzeit bestimmen oder im mechanischen Welttheater Regie führen? Ein Chat zur Reanimation historischer Objekte.

3D-Modell einer Theatrum-mundi-Figur (Elefant). Staatliche Kunstsammlungen Dresden, CC BY-ND 4.0

Historische Objekte wieder in Bewegung bringen, dafür nutzen die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden Vermittlungsansätze im 3D-animierten Raum – für die Nutzung auf dem Smartphone. Frederik Nehm, wissenschaftlicher Assistent im Mathematisch-Physikalischen Salon (MPS), und Mario Kliewer, wissenschaftlicher Assistent in der Puppentheatersammlung (PTS), hatten sich zum Chatten verabredet, um sich gegenseitig auf den Stand zu bringen, worum es in den beiden Projekten des Teilprojekts im Verbund museum4punkt0 geht:

[16:35] Kliewer, Mario – PTS: Hallo Frederik, Nokturnal, Himmelsglobus, das hört sich für mich nach Zaubergegenständen aus „Harry Potter“ an. Was ist das denn?

[16:35] Nehm, Frederik – MPS: Hallo Mario, nun, das sind alles astronomische Instrumente, die wir in unserer Sammlung haben. Die sind bei uns natürlich hinter Glas, da sie viele Hundert Jahre alt sind, aber ich nehme an, dass so manch einer sie gern mal in die Hand nehmen und ausprobieren würde – darum geht es in unserem Teil vom museum4punkt0.

[16:38] Kliewer, Mario – PTS: Und wofür wurden die verwendet? [16:39] Nehm, Frederik – MPS: Das Nokturnal beispielsweise ist eine Sternenuhr. Heißt, man kann mit ihr nachts die Uhrzeit bestimmen.




Veranschaulichung der Funktion einer Sternenuhr, Animation: Staatliche Kunstsammlungen Dresden, CC BY 4.0
[16:39] Nehm, Frederik – MPS: Kennst Du den Großen Wagen?

[16:39] Kliewer, Mario – PTS: Na klar, wer kennt den nicht. 🙂

[16:40] Nehm, Frederik – MPS: Und abgesehen davon, dass es ein recht markantes Sternbild ist, weißt Du was ihn besonders macht?

[16:41] Kliewer, Mario – PTS: Nein, was denn?

[16:45] Nehm, Frederik – MPS: Man kann den Großen Wagen benutzen, um den Polarstern zu finden. Tatsächlich zeigt die Verlängerung zweier Sterne aus dieser Konstellation genau auf den Polarstern. Der wiederum steht fast perfekt im Nordpol des Himmels, es drehen sich also aus unserer Perspektive alle anderen Sterne um ihn herum. Zusammengefasst kann man sich den Polarstern und den Großen Wagen vorstellen wie eine Uhr – der Polarstern ist der Mittelpunkt und der Große Wagen ist der Zeiger.

Und jetzt erahnst Du vielleicht schon, wie das Nokturnal funktioniert. 😉

[16:51] Kliewer, Mario – PTS: Ah, das Nokturnal ist also das Ziffernblatt, mit dem man die kosmische Uhr lesen kann. So ungefähr?

[16:52] Nehm, Frederik – MPS: Besser hätte ich es nicht ausdrücken können. 🙂 Die Sterne drehen sich aus unserer Perspektive einmal am Tag um uns herum und wir können mit dem Nokturnal die Stellung der Sterne entschlüsseln. Wir bekommen die Uhrzeit.

[16:56] Kliewer, Mario – PTS: Alles klar. Jetzt hast du vorhin geschrieben, dass viele Menschen dieses und die anderen Instrumente gerne in die Hand nehmen würden, was ja, wie jeder weiß, im Museum selten erlaubt ist. Vor allem bei solchen einzigartigen Stücken. Was habt ihr denn im Rahmen von museum4punkt0 damit vor? Kann ich das Nokturnal hinterher in die Hand nehmen?

[16:59] Nehm, Frederik – MPS: So ist es. Wir entwickeln eine App, die eine Nutzung nicht bloß in unserer Ausstellung, sondern weltweit ermöglicht. Die App zeigt mir nicht nur, wie man das Nokturnal benutzt, sondern stellt auch noch zwei weitere Objekte vor.

[17:00] Kliewer, Mario – PTS: Welche sind das?

[17:03] Nehm, Frederik – MPS: Das eine ist die deluxe Version einer Sonnenuhr. Mit unserer Variante kann ich die Uhrzeit nicht nur mit der Sonne, sondern auch mit dem Mond bestimmen! Darüber hinaus kann man mit ihr sogar das Datum am Himmel ablesen und noch mehr, aber wenn ich das jetzt alles erkläre, brauchen wir ja die App nicht mehr 😉

[17:04] Nehm, Frederik – MPS: Das andere ist ein mechanischer Himmelsglobus. Erdgloben kennt man ja, aber dieser zeigt den Himmel in einer sehr nützlichen historischen Vorstellung, nämlich als Kugel, auf der alle Sterne relativ zueinander festgemacht sind und die sich einmal am Tag um uns herumdreht. Das bildet sehr gut ab, was wir am Himmel sehen.

Der mechanische Himmelsglobus vereint die beiden vorigen Instrumente sozusagen in einem Gedankenkonstrukt. Und das ist uns sehr wichtig: Dass wir aufzeigen, wie verbunden diese Instrumente miteinander sind und wie sie sich ins historische Bild von Himmel und Erde einfügen.

[17:10] Kliewer, Mario – PTS: Ok, das Handy soll also Sternenuhr, deluxe Sonnenuhr und Himmelsglobus in einem werden. Sehr spannend! Für wen macht ihr das denn? Habt ihr eine bestimmte Zielgruppe im Blick?

[17:15] Nehm, Frederik – MPS: Unsere Zielgruppe ist sehr weit gefasst. Wir hoffen, viele Leute abzuholen, da der gestirnte Himmel seit jeher zum Staunen anregt. Diese Instrumente haben es in sich, weil man mit ihnen Spannendes und Überraschendes machen kann, sogar ohne astronomische Vorkenntnisse – wir setzen nur Neugierde voraus! Gleichzeitig sollen aber auch eingefleischte Astro-Profis ihren Spaß daran haben, wofür wir Vertiefungsebenen einbauen, die die komplexeren Elemente der Objekte ergründen.

Die Reanimation von historischen Objekten ist doch auch bei euch ein großes Thema, aber bei euch wird es dramatischer, richtig?

[17:24] Kliewer, Mario – PTS: Das kann man so sagen ja. Bei uns sind es Figuren von Tieren, Menschen, Schiffen und andere Dinge, die wir mit der Digitalisierung eines Theatrum mundi wiederbeleben möchten. Oder genauer gesagt, im Rahmen des museum4punkt0-Projekts, erstmal mit einer Aufführung.

[17:24] Nehm, Frederik – MPS: Den Begriff „Theatrum mundi“ musst du jetzt aber nochmal genauer erklären, bitte.

[17:29] Kliewer, Mario – PTS: Gern, man kann ihn am besten mit „mechanischem Welttheater“ übersetzen. Das war eine Theaterform, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts erfunden wurde und bis zum Aufkommen des Kinos weit verbreitet war. Jetzt ist sie nirgendswo mehr live zu erleben. Dabei bewegten sich Figuren auf bis zu sechs parallel hintereinander angeordneten Schienen auf einer perspektivisch aufgebauten Bühne mit einem Bühnenausschnitt von bis zu zwei mal fünf Metern. Handgemalte Bühnenbilder aus Pappe verdeckten die Mechanik und die Schausteller*innen. Das Theatrum mundi war dabei meistens eine Ergänzung zum Puppentheater und fand im Durchbruch hinter der eigentlichen Puppenbühne statt.

[17:31] Nehm, Frederik – MPS: Wow, also durch die Ebenen bekommt das Publikum einen räumlichen Eindruck und die Schienen erlauben den Schausteller*innen, viele Figuren gleichzeitig zu zeigen. Haben die dann auch noch die Dialoge gesprochen?

[17:40] Kliewer, Mario – PTS: Dialoge gab es keine. Allerdings wissen wir nicht ganz genau, ob jemand die Handlung „aus dem Off“ erzählte. Die Puppenbühnen reisten in dieser Zeit quer durchs Land und wurden meistens von der lokalen Kapelle musikalisch begleitet. So vermutlich auch das Theatrum mundi. Überliefert sind Figuren, Schienen und Kulissen sowie sogenannte Theaterzettel, also Flyer, mit denen die Schausteller*innen ihre Stücke bewarben. In einigen Fällen gibt es auch kurze Listen zum Ablauf des Stücks. Allerdings steht da nicht mehr drauf als: „Figur A von rechts nach links, dann Figur B“ usw.

Insgesamt kann man sich das ganze eher wie eine frühe Form der Tagesschau vorstellen: ein Blick in die Welt und/oder auf spannende Ereignisse.

[17:41] Nehm, Frederik – MPS: Jetzt muss ich aber fragen: Welches Stück wollt ihr denn umsetzen?

[17:45] Kliewer, Mario – PTS: Also prinzipiell geht es uns darum, ein digitales Dramaturgie-Tool zu bauen, mit dem wir alle unsere überlieferten Stücke ausprobieren können. Aufgrund der lückenhaften Informationslage wollen wir verschiedene Aspekte wie Licht, die nötige Anzahl der Figuren, Musik usw. erforschen. Das ist allerdings die langfristige Perspektive. Unser Teststück im museum4punkt0-Projekt ist ein Stück aus dem Theatrum Mundi von Curt Kressig mit dem Titel: „AGRA, Residenz der indischen Großmoguln mit dem prachtvollen Grabmale der Kaiserin.“

Kurzer Einblick in den Theater-Zettel?

[17:47] Nehm, Frederik – MPS: Oh, gern!

[17:49] Kliewer, Mario – PTS: Also nachdem die Kulissen und die Szenerie beschrieben wurden, heißt es dort: „Die Landschaft ist interessant belebt. Der kunstreiche Mechanismus der kleinen mechanischen Figuren überrascht jeden der Anwesenden. Es kommen alle dortigen Thiere zum Vorschein: Schlangen, Bären, Kameele, Giraffen, Elephanten, deren natürlichen Bewegungen stets Lob ernten.“

[17:53] Nehm, Frederik – MPS: Die Veranstalter schienen ja recht überzeugt zu sein, ich bin auf jeden Fall gespannt. 🙂

[17:55] Kliewer, Mario – PTS: Wir auch … Und auch unser Publikum kann es sein, denn wir planen das digitale Tool nicht nur als Forschungswerkzeug, sondern in einer abgespeckten Variante auch als Präsentationstool in Ausstellungen und online. Sodass jede*r die Regie übernehmen kann.

[17:57] Nehm, Frederik – MPS: Also jede*r kann später Theaterstücke konzipieren? Können die Nutzer*innen diese dann untereinander teilen?

[18:01] Kliewer, Mario – PTS: Genau, der Plan ist, dass man wählen kann, welche Figuren nacheinander auftreten und durch welches Licht und welche Musik Stimmungen erzeugen werden. Nutzer*innen können somit eigene Bilder erzeugen und Geschichten erzählen. Möglichkeiten zur Social Media-Nutzung oder wie man sein Stück aus dem Museum mit nach Hause nehmen kann, denken wir dabei mit und versuchen diese auch umzusetzen.

[18:03] Nehm, Frederik – MPS: Ich kann kaum erwarten, mich dramaturgisch auszuleben. 😉 Danke dir für die Erklärungen!

[18:06] Kliewer, Mario – PTS: Das geht uns auch so. Und ich freue mich sehr auf eure App und vor allem darauf, beim Zelten im Sommer die Sternenuhr auszuprobieren. Vielen Dank auch dir! Das war sehr spannend.

Beitrag von: Dr. Mario Kliewer und Dr. Frederik Nehm

Teilprojekt: Die Dinge (wieder) in Bewegung bringen
Teilprojekt

Die Dinge (wieder) in Bewegung bringen

Das museum4punkt0-Team der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden vermittelt digital mithilfe von 3D-Animation eine Aufführung des mechanischen Welttheaters sowie astronomische Instrumente in ihrem historischen Bewegungskontext.

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