Von VR zu XR – Lessons Learned aus der XR-Experience-Station

Frederike Uhl bedient die XR-Xperience-Station am Germanischen Nationalmuseum.
XR-Xperience-Station im Einsatz am Germanischen Nationalmuseum, Foto: Mark Fichtner, CC BY-SA 4.0

Überblick

Im Rahmen des Teilprojektes Museum INSIDE/OUT wurde eine Extended Reality(XR)-Experience-Station entwickelt. Die Basis bildete die jahrelange Erfahrung des Deutschen Museums (DM) im Einsatz von Virtueller Realität (VR) im Museumskontext. Es galt, diese Erfahrung für das Germanische Nationalmuseum (GNM) nachnutzbar zu machen, dort eigenes Know-how im Bereich VR-Station und den damit verbundenen Herausforderungen im musealen Einsatz zu sammeln und die gewonnenen Erkenntnisse in eine völlig neue Extended Reality Experience Station einfließen zu lassen, die es ermöglicht, die Grenzen der eigenen Räumlichkeiten zu überwinden. Diese Station wurde im Germanischen Nationalmuseum im Rahmen des 3D-Lab in Ausstellungshalle II umgesetzt und evaluiert.

Bibliographische Angaben

Institution
Deutsches Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik und Germanisches Nationalmuseum
Teilprojekt
Museum INSIDE/OUT
Autor*innen
Frederike Uhl, Mark Fichtner, Juliane Hamisch
Veröffentlicht
19.07.2023
Lizenz der Publikation
CC BY-SA 4.0
Kontakt
Mark Fichtner
Germanisches Nationalmuseum
info@gnm.de

Entwicklung

Die Rahmenbedingungen für den Einsatz von VR sind je nach Museum verschieden. Während im Deutschen Museum unter Einsatz von direkter personeller Betreuung und organisierter Anmeldung VR für die Besuchenden zugänglich gemacht werden konnte, wurde im Germanischen Nationalmuseum die VR-Station von einer studentischen Kraft im Wesentlichen alleine organisiert. Neben der Einweisung der Besuchenden in die Bedienung der Station, der direkten Betreuung der Besuchenden während der VR-Sequenzen und der Klärung von Rückfragen fielen auch organisatorische Aufgaben wie die Anmeldung der Besuchenden zu den jeweils buchbaren Zeiteinheiten, die Umsetzung des Hygienekonzepts und die Überwachung der Stationssicherheit an, die teilweise parallel/zeitgleich zu erledigen waren.

Auch die äußeren Rahmenbedingungen unterscheiden sich stark in den beiden Museen: Das GNM hat einen geringeren Besucherstrom und der durchschnittliche Museumsbesucher ist deutlich älter als im DM. Es blieb also zu prüfen, ob eine VR-Station überhaupt im gleichen Maße wie im DM angenommen wird und wie sie weiterentwickelt werden kann, um für die Rahmenbedingungen am Germanischen Nationalmuseum angepasst zu werden.

Inhaltliches Konzept

Das DM stellte die Inhalte für die VR-Station zur Verfügung. Sie veranschaulichen Schlüsselobjekte der dortigen Sammlung und machen sie im historischen Zusammenhang erfahrbar. Die Besucher wählten eine von vier verschiedenen VR-Sequenzen aus: Sie konnten den ersten Benz-Motorwagen zusammensetzen und zum Laufen bringen, den Testflug von Otto Lilienthals Segelapparat begleiten und für die Nachwelt dokumentieren, die Dampfmaschine der Gebrüder Sulzer regeln und ein Spinnwerk betreiben oder mit der Apollo 15-Mission den Mond besuchen und den Lunar Rover fahren lassen.

Die VR-Station war konzeptionell in das 3D-Lab in Ausstellungshalle II eingebettet. Neben VR konnten die Besucher dort in einem zweiten Bereich originale Objekte, ihre virtuelle Repräsentation als 3D-Modell und 3D-Drucke im Zusammenspiel erleben und selbst in die Hand nehmen. Mit etwas zeitlichem Versatz – unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus dem Einsatz der VR-Station – machte im dritten Teil der Forschungspräsentation die XR-Experience-Station bestehende und ehemalige Ausstellungen der Museen für die Besuchenden erfahrbar.

Eine zentrale Erkenntnis aus der VR-Station war, dass im GNM Besuchende oft zu zweit oder als kleine Gruppe unterwegs sind. Die Abschottung durch die VR-Brille und die Wartezeiten für die begleitenden Personen waren dabei Hindernisse, die es in der XR-Experience-Station zu überwinden galt. Ein gemeinsames Erlebnis für Gruppen sollte mittels einer Rundum-Projektion auf drei Wände erzeugt werden, während die Steuerung des Erlebnisses durch eine Person der Gruppe mittels Gesten erfolgen sollte. So blieb das Erlebnis interaktiv und die Hemmschwelle für die Erfahrung möglichst niedrig.

Technisches Konzept

Für die VR-Station kam als Rechner ein typisches Endnutzergerät mit Geforce-Grafikkarte sowie eine Oculus Rift als VR-Brille zum Einsatz. In der ersten Evaluierungsphase wurde die Station mit mehreren Brillen von einer ausgewählten Nutzergruppe aus Mitarbeitenden des Museums getestet. Dabei zeigte sich, dass die Station auch mit der bereits in die Jahre gekommenen Rift gut angenommen wurde. Neuere Brillen wie z. B. die Vive Pro 2 hätten zwar eine höhere Auflösung geboten, aber auch mehr Rechenleistung erfordert. Für die Betreuungsperson und weitere wartende Personen wurde die VR-Szenerie aus der Brille auf einem 66“ Flachbildschirm in den Hintergrund übertragen. Auf diese Weise konnte die Betreuungsperson den Besuchenden bei der Bedienung der VR-Inhalte besser unterstützen. Kinder durften die Station erst ab 10 Jahren nutzen, die Hersteller der Brille selbst empfehlen die Nutzung sogar erst ab 13 Jahren.

Für die XR-Experience-Station kam ein zentraler Rechner mit zwei Consumer-Grafikkarten von NVIDIA zum Einsatz. Er steuerte drei Beamer an, die ein Bild jeweils links, rechts und geradeaus in den Raum, um den Besuchenden herum projizierten. Der Raum war zu Beginn mit einem 270° Rondell geplant, das aber aus Kostengründen verworfen wurde. Die stattdessen verwendeten Wände waren leider nicht gleich groß und die Projektionsentfernungen nicht einheitlich, was durch die Bildschirmeinstellungen aufgefangen werden musste. Für die Immersion wurde über die Beamer auch Audio in den Raum gestrahlt. Eine zentrale Herausforderung war dabei, die Audiorichtung so zu steuern, dass die Arbeitsbedingungen für die Aufsichten in der Ausstellungshalle nicht zu schlecht wurden, die Besuchenden aber gleichzeitig den Ton gut verstehen konnten. Zur Steuerung der XR-Experience-Station kam eine Microsoft Kinect zum Einsatz. Durch die offenen Schnittstellen kann diese multifunktional eingesetzt werden. Die Darstellung der Inhalte erfolgte über einen regulären Browser, sodass die Kinect lediglich einfache Eingaben wie „Links“, „Rechts“ etc. erkennen und an den Browser weitergeben musste. Um ein zu hastiges Abrufen der Aktionen zu verhindern und eine Übererkennung möglichst unwahrscheinlich zu machen, durfte jeweils nur eine Aktion alle drei Sekunden vom System erkannt werden.

Implementierung und Inbetriebnahme

Für die Inbetriebnahme der VR-Station spielte das Hygienekonzept eine zentrale Rolle. Um die Brillen gut reinigen zu können, mussten alle Schaumstoffteile durch Lederteile ersetzt werden. Hier spielte die Rift durch ihre langfristige Verfügbarkeit am Markt ihre Stärken aus – es gab eine große Auswahl an günstigen Materialien, die mit der Brille fest verbunden werden konnten. Dadurch konnten die Kontaktflächen mit dem Gesicht so aufgepolstert werden, dass die VR-Brille auch im Bedarfsfall für Brillenträger gut tragbar war. Die Kontaktflächen wurden jeweils nach der Nutzung mit einem verkaufsüblichen Oberflächendesinfektionsspray und Mikrofasertüchern gereinigt. Das Spray wurde dabei auf die Tücher gesprüht, mit denen dann wiederum die Flächen  abgewischt wurden. Zur Reinigung und zum Verdampfen des Sprays wurde zwischen den Nutzungszeiten jeweils eine fünfminütige Pause eingeplant. Bei einer Nutzungszeit von 15 Minuten konnten entsprechend drei Besuchende pro Stunde die VR-Station im GNM nutzen.

Eine wesentliche Herausforderung im VR-Bereich ist der Umgang mit dem Kabel an der Brille. Bewährt hat sich bei uns der Einsatz von Kabelführungen mit Draht und automatischem Rückzug. Diese müssen jedoch so im Raum verteilt werden, dass sie den Besuchenden gleichzeitig nicht behindern und das Kabel stets hoch genug gezogen wird.

Damit der Besuchende den Weisungen des Personals Folge leisten kann, muss einer der Lautsprecher der Brille stets vom Ohr weggeklappt bleiben. Das dämpft zwar die Wirkung des Erlebnisses, sonst fiel es aber tatsächlich manchmal schwer, mit dem Besuchenden in Kontakt zu treten, wenn er gerade den Inhalten des Programms folgte.

Als externe Unterbrechung nach Ablauf der 15-Minütigen Nutzungszeit kamen handelsübliche Eieruhren zum Einsatz. Diese wurden vorher im Beisein des Besuchenden aufgezogen, so konnte er dann den schrillen Ton entsprechend gut als End-Signal zuordnen und beendete in aller Regel das Erlebnis von selbst, indem er die Brille abnahm.

In der XR-Experience-Station kam kein Betreuungspersonal zum Einsatz. Es zeigte sich, dass dies die Hemmschwelle zur Nutzung drastisch erhöhte. Viele der Besuchenden, die den Raum betraten, trauten sich nicht in den dafür ausgezeichneten Bereich, sondern genossen das Intro-Video und betrachteten den Raum eher als eine Art Ausstellungsobjekt.

Bei der effektiven Erkennung der Gesten zeigte sich schnell, dass kontrastreiche Farben der Kleidung, das Licht in der Ausstellungshalle und eine ideale Entfernung zur Kamera von großer Bedeutung sind. Bei der Entwicklung der Station kooperierte das Museum mit der Tübinger Firma acameo, die das nötige Know-how im Umgang mit digitalen Zwillingen und entsprechenden Ausspielungen auf Endgeräten hatten.

Nachnutzung und Weiterentwicklung

Die genutzten VR-Szenen sind am Deutschen Museum zu bekommen. Die Inhalte der XR-Experience-Station sind unter https://cuuubtour.gnm.de/ abrufbar und durch die Einbindung via Browser von dort aus nachnutzbar. Die 3D-Quelldaten sind beim GNM auf Anfrage zu bekommen, bitte wenden Sie sich in diesem Fall an info@gnm.de (Mark Fichtner).

Besucherforschung und Usability Tests

Die Besuchenden füllten selbstständig Feedback-Karten aus. In der Ausstellungshalle waren im Zeitraum von Mitte September bis Mitte Januar insgesamt 7319 Besuchende. Das GNM hatte im gleichen Zeitraum insgesamt 23.966 Besuchende. Die VR-Station wurde 401 mal genutzt. Von 609 ausgefüllten Karten bewerteten 74 Besuchende die VR-Station als positiv, zwei als negativ. Die XR-Experience-Station wurde von 16 Besuchenden als Highlight der Ausstellungshalle wahrgenommen, von drei Besuchenden als negativ eingestuft.

Erfahrungen

VR im Museum ist eine Technologie, die nur von einer begrenzten Anzahl von Nutzern wahrgenommen werden kann. Alternative Ansätze wie die vorgestellte XR-Experience-Station empfehlen sich, sind jedoch oft noch nicht ausgereift genug für eine langfristige Nutzung im Dauerausstellungskontext ohne Betreuungspersonal. In diesem Feld werden sich die Möglichkeiten jedoch sicherlich in naher Zukunft weiter verfeinern.

Nachnutzbare Elemente (Anhang)

Weitere Ergebnisse im Teilprojekt

Bild zum Ergebnis: 3D-Lab im GNM: Museum digital erleben und (be)greifen
Digitale Vermittlungstools

3D-Lab im GNM: Museum digital erleben und (be)greifen

Deutsches Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik und Germanisches Nationalmuseum

Im „3D-Lab“ konnten Besuchende des Germanischen Nationalmuseums diverse VR-Angebote und 3D-Drucktechnologie austesten.

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