25. September 2020
Entwickeln, Technische Umsetzung, Vermittlungskonzepte

Getestet: digitales AR-Tool für die Ausstellungsvermittlung

Die AR-Anwendung „AR Interactive Guide Tool“ besteht im Test als flexibles Werkzeug für die Kommunikation in Besucherführungen – mit dem und über das Objekt.

Dietmar Fuhrmann und Cristina Navarro
Dietmar Fuhrmann und Cristina Navarro mit dem 1:10 Modell des Kulthauses der Abelam und Tablets mit der AR-Anwendung „AR Interactive Guide Tool“ (AT), Foto: Staatliche Museen zu Berlin / Josefine Otte, CC BY 4.0

Cristina Navarro und Dietmar Fuhrmann arbeiten im Teilprojekt „Visitor Journeys neu gedacht – digitale Erweiterung des Museumsbesuchs“ der Staatlichen Museen zu Berlin. In dem Projekt „AR Interactive Guide Tool“ entwickeln sie in enger Zusammenarbeit mit der zuständigen Kuratorin für die Ozeaniensammlung des Ethnologischen Museums und KollegInnen aus dem Referat Bildung, Vermittlung, Besucherdienste der Staatlichen Museen zu Berlin eine Anwendung, die erstmals AR-Technologie in der interpersonellen Vermittlungssituation im Museum einsetzt.

Cristina, Dietmar: Ihr testet im Rahmen von museum4punkt0, wie AR-Technologie die klassische, traditionell lineare Museumsführung im Museum erweitert werden kann. Zentraler Gegenstand eurer App ist das sogenannte Kulthaus der Abelam, eines der Großobjekte des Ethnologischen Museums, das im Humboldt Forum zu sehen sein wird.

Was kann die App? Inwiefern erweitert sie die Möglichkeiten eines Guides?

Cristina: Die Anwendung erweitert den Aktionsradius der VermittlerInnen: Die Guides können das Sammlungsobjekt im Ausstellungsraum kontextualisiert zeigen, also ergänzt von Informationen und Medien, die helfen, die Objekte besser zu verstehen. Darunter sind auch weitere Medien der Sammlung wie Filme und Dias, die eigens für das Projekt digitalisiert und für das Format bearbeitet wurden. Wir haben auch neue Grafiken erstellt, Videos und Visualisierungen. Ziel war es, das Verständnis über die Objekte und durch die Objekte zu verbessern.

Dietmar: Daneben macht die App Objekte zugänglich, die sonst im Kulthaus nicht ohne Weiteres zu sehen sind: Die BesucherInnen können zwar in die Initiationskammern hineinblicken, sich aber, aufgrund der Lichtverhältnisse und Positionierung, nicht jedes Objekt aus dieser Perspektive erschließen. Mit der App hat der Guide die Möglichkeit, in der Führung Objekte virtuell herauszunehmen und auf die Tablets der Besucher zu spielen.

In der persönlichen Führung durch den Ausstellungsraum steuert der Guide, was die TeilnehmerInnen auf ihren Tablets sehen können. Zusätzlich gibt es Phasen, in denen sie sich eigenständig Objekte erschließen, Details finden und erkennen können.

Cristina: Wichtig dabei ist, dass alles, was der Guide mit dem Tool konzipiert hat, live geändert werden kann. Der Guide kann vorab eine zielgruppengerechte Führung konzipieren. Dazu kann er sich aus dem Inhaltspool einer Kuratoren-Führung bedienen, die der App zugrunde liegt. Die Module lassen sich beliebig auswählen, anordnen und ergänzen. Diese große Flexibilität und die Möglichkeit, spontan auf die TeilnehmerInnen reagieren zu können, sind zentral: Das Tool soll gerade die Kommunikation mit dem Objekt und über das Objekt unterstützen.

Dietmar: Entscheidend war für uns von Anfang an, dass die Technik nicht im Vordergrund ist. Wir wollten kein Tool basteln, das schick für sich steht – Cristina: Die App ist aber ziemlich cool! – Dietmar: Cool ist sie natürlich auch … aber wichtig ist vor allem, dass die Kommunikation zwischen Guide und BesucherInnen erweitert wird: Dazu bietet die Anwendung ein Werkzeug.

Cristina: Wir haben bei der Entwicklung somit zwei Hauptadressaten im Blick: die Professionals, also die VermittlerInnen, und die BesucherInnen. Die Guides erhalten ein Werkzeug für ihre Führungen, das letztlich die BesucherInnen selbst motivieren soll, aktiv zu werden und aus dem individuellen Interesse heraus die Objekte der Ausstellung weiter eigenständig zu erkunden.

Darüber hinaus haben wir die App von vorneherein nachnutzbar gedacht: Mit moderater Anpassung ist sie für andere Objekte, Museen, Räume nutzbar. Noch ist das Content-Management-System rudimentär. Unsere Priorität für die Weiterentwicklung der Anwendung ist eine darauf aufbauende nutzerfreundliche Bedienung des Content-Management-Systems. KuratorInnen sollen ohne technische Vorkenntnisse einfach Inhalte einpflegen können. Und natürlich sehen wir der Implementierung am Original im Humboldt Forum entgegen.

In den letzten Jahren habt ihr die prototypische Anwendung in Zusammenarbeit mit Entwicklern, Kuratoren und Kollegen aus museum4punkt0 entwickelt. Vor kurzem ging eure App erneut in den Praxistest.

Modell des Kulthauses der Abelam mit AR-Technologie
Geführte Erkundung am Modell des Kulthauses der Abelam mit AR-Technologie. Tablet des Guides mit Menüsteuerung (rechts) und der BesucherInnen (links), Foto: Staatliche Museen zu Berlin / Anna Wiese, CC BY 4.0

Wie lief das Testing? Was habt ihr für euch daraus mitgenommen?

Cristina: Es war unser drittes Testing: Wir haben zunächst eine Vor-Version, einen Low Fidelity-Prototypen getestet, später eine erste Version des High Fidelity-Prototypen, jetzt die fast fertige Version. Alle Testings waren wichtige Meilensteine, die Ergebnisse wirken sich wesentlich auf die weitere Entwicklung aus.

Dietmar: Da das Kulthaus noch nicht steht, haben wir ein 1:10-Modell anfertigen lassen. Das hat gut funktioniert. Im Testing hat sich gezeigt, dass das System mittlerweile stabil läuft. Im Laufe des Projekts hat sich der professionelle Guide, mit dem wir zusammenarbeiten, das Tool nach und nach als Werkzeug angeeignet. Es tritt immer weiter in den Hintergrund, die Kommunikation zwischen Guide und BesucherInnen in den Vordergrund. Die Anwendung unterstützt die Vermittlung durch den Guide: Es entsteht wieder ein Gespräch und die Führung wird zum Gemeinschaftserlebnis.

Wofür haben sich die Testpersonen besonders interessiert?

Cristina: Highlights sind sicher die virtuellen Erkundungen der Kammern und eine Rekonstruktion des Kulthauses zur Bedeutung der Kosmologie.

Dietmar: Besonders gut wurde die inhaltsreiche Kontextualisierung des Objekts aufgenommen. Darunter sind beispielsweise fotografische Dokumentationen der Kulthäuser und Initiationen, die heute nicht mehr durchgeführt werden. Forschungsreisende haben Ende der Siebziger- und Achtzigerjahre die letzten Aufnahmen erstellt. Diese bedeutenden Dokumente aus der Sammlung des Ethnologischen Museums – Staatliche Museen zu Berlin können wir in der App zeigen. 

Ansicht des digitalen Vermittlungstools
Ansicht des digitalen Vermittlungstools. Tablet des Guides mit Menüsteuerung (rechts) und der BesucherInnen (links), Foto: Staatliche Museen zu Berlin / Anna Wiese, CC BY 4.0

Hat euch etwas überrascht?

Cristina: In Testings werden wir immer auf Dinge gestoßen, die für uns, die wir mitten in dem Projekt stehen, unsichtbar sind. Das sind nun, zum Ende des Projekts, oftmals Kleinigkeiten, die aber die Nutzung der App entscheidend erleichtern können. Beispielsweise fehlte die Timer-Anzeige für den Guide, während eine AR-Sequenz läuft.

Dietmar: Ein weiteres Beispiel ist ein Popup-Fenster, das die Teilnehmenden informiert, wenn der Guide die Tablets steuert und sie selbst nichts auswählen können. Aber nicht nur der Guide und die NutzerInnen haben uns hilfreiche Rückmeldungen gegeben. Das Testing war auch für die Kuratorin Gelegenheit, die Inhalte noch einmal zu prüfen und zu ergänzen.

Wie war es für euch, eure Entwicklung auf den Prüfstand zu stellen und in der Anwendung zu testen?

Cristina: So ein Praxistest ist absolut aufregend: Alles muss funktionieren, die Technik, die Fragen, das Setting.

Dietmar: Ein Adrenalinschub gehört dazu, das Scheitern auch. Wir haben aber versucht, durch eine möglichst gute und aufwändige Vorbereitung die Risiken abzufangen.

Cristina: Besonders wichtig ist, vorab Klarheit zu haben, was wir herausfinden wollen – und die Offenheit für das, was kommt.

Was sind eure nächsten Schritte?

Cristina: Wir werten das Testing weiter aus und entscheiden, was jetzt noch umgesetzt, was bei der Implementierung vor Ort behoben wird. Mit der Abnahme werden wir diese Projektphase abschließen.

Dietmar: Jetzt ist es wichtig, ein gutes Handbuch zu der Anwendung für künftige Guides und KuratorInnen zu erstellen. Ziel ist es schließlich, diese auch für andere Objekte, Räume und Museen ohne großen Aufwand zu nutzen. Außerdem wollen wir den künftigen NutzerInnen die Anwendung präsentieren und sie am Modell ausprobieren lassen – ein weiterer spannender Praxistest!

Ein Beitrag von: Cristina Navarro, Dietmar Fuhrmann und Dr. Maite Kallweit

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Teilprojekt: (De-)Coding Culture. Kulturelle Kompetenz im Digitalen Raum
Teilprojekt

(De-)Coding Culture. Kulturelle Kompetenz im Digitalen Raum

Das museum4punkt0-Team der Staatlichen Museen zu Berlin baut unter anderem die Online-Sammlungen der SMB als Multiexperience-Plattform aus, um vielfältige Bezüge zwischen Objekten und Nutzer*innen herzustellen und damit die identitätsstiftende Wirkung von Kunst und Kultur zu fördern.

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