23. Mai 2022
Verbundarbeit, Vermittlungskonzepte

Digitales Kulturgut der Fastnacht

Vera Jovic-Burger aus dem Fastnachtsmuseum Narrenschopf Bad Dürrheim beantwortet Fragen zu ihrer Arbeit im Teilprojekt „Kulturgut Fastnacht digital“.

Hinter den Kulissen der Teilprojekte: Kulturgut Fastnacht digital
Hinter den Kulissen der Teilprojekte: Kulturgut Fastnacht digital, Grafik: Stiftung Preußischer Kulturbesitz / museum4punkt0 / Julia Rhein, CC BY 4.0

Das Teilprojekt heißt „Kulturgut Fastnacht digital“ – berichtet uns kurz zur Einführung, was Ihr vorhabt!

Die Fastnacht ist ein jahrhundertealter Brauch, der bis heute nichts an seiner Lebendigkeit verloren hat. Millionen von Menschen feiern mit Vergnügen Jahr für Jahr die närrische Fastnachtszeit. Seit 2014 wird die schwäbisch-alemannische Fastnacht zudem im bundesweiten Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes geführt.

Und gerade darin liegt die Herausforderung: Wie kann das Immaterielle in einem Museum ausgestellt werden? Wie kann diese Lebendigkeit vermittelt werden? In der ersten Projektphase beschäftigten wir uns vor allem mit dieser Frage. Digitale Anwendungen bieten hierfür bisher nicht dagewesene Lösungsmöglichkeiten an. Durch 360-Grad-Aufnahmen von Fastnachtsbräuchen ist es uns gelungen, den Besucher*innen ein Eintauchen mittels VR-Brillen oder in unserem 360-Grad-Kino zu ermöglichen.

Aktuell arbeiten wir an einem neuen Projekt mit einer ganz anderen Herausforderung: Wie stelle ich ein Objekt aus, welches wir gar nicht haben? Außerdem erweitern wir das virtuelle Museum, greifen das aktuelle Zeitgeschehen auf und gehen gezielt auf weitere Zielgruppen ein, indem wir unser englisches Angebot erweitern und verschiedene Anwendungen in Leichte sowie in Gebärdensprache übersetzen.

Wie setzt sich Euer Team zusammen, welche Abteilungen des Museums bindet Ihr wie in den Konzeptions- und Entwicklungsprozess ein?

Unsere digitalen Anwendungen werden vorrangig bei uns im Haus entwickelt. Für das Projekt museum4punkt0 arbeiten aktuell Artur Fuss und Peter Bandle, die für die technische Umsetzung verantwortlich sind. Für den Input sorgen Prof. Dr. Ullrich Dittler (technische Konzeption) sowie Prof. Dr. Werner Mezger (inhaltliche Konzeption). Die Projektkoordination hält das Ganze zusammen und hält auch den engen Kontakt zum Museumsteam. Hier geht es sehr persönlich zu, denn wir sind ein kleines Museum mit einem kleinen Mitarbeiterstamm. Die kurzen Wege sind bei einem solchen Projekt durchaus von Vorteil, wenngleich wir manchmal neidisch auf die Möglichkeiten in den großen Häusern schielen.

Welche Methoden möchtet Ihr für die Umsetzung nutzen, in welche Richtung gehen Eure Überlegungen?

Wir haben zwei Arten von Besucher*innen in unserem Museum: Die Närrischen und die närrisch Unerfahrenen. Bei Ersteren geht es um das Wiedererkennen und die Freude durch die hervorgerufene Erinnerung. Bei denjenigen die bisher noch nicht die Möglichkeit hatten in das Fastnachtsgeschehen einzutauchen, geht es zunächst darum, die Fastnacht zu erklären – oder vielmehr, sie erfahrbar zu machen. Der neu entwickelte Narrenspiegel eignet sich hierfür bestens: Dabei handelt es sich um eine AR-Anwendung, bei der die User beim Blick in den Spiegel plötzlich eine Narrenmaske vor dem Gesicht haben, d.h. das Aussehen wird drastisch verändert. Die Frage ist: Was macht das mit mir? Verändert es meine Identität, verändert sich meine Persönlichkeit? Was passiert mit mir, wenn mich niemand mehr erkennt? Wenn ich mich verstecken kann? Eine vergnügliche Spielerei, die zum intensiven Nachdenken anregt.

Eine weitere Methode der Vermittlung ist die Interaktion.

Könnt Ihr schon konkrete Beispiele nennen – welche Objekte wie über die Anwendungen präsentiert werden sollen bzw. können? Gibt es dafür Auswahlkriterien?

Unser Projekt, welches in den nächsten Wochen fertiggestellt wird, ist die Präsentation des Ambraser Tellers. Der Holzteller aus dem Jahre 1528 ist übervoll mit Narrenmotiven bemalt, das Original befindet sich auf Schloss Ambras nahe Innsbruck – für uns also unerreichbar. Uns wurde hochauflösendes Bildmaterial des Tellers zur Verfügung gestellt, so konnten wir den Teller digital nachbauen und in eine interaktive Anwendung umwandeln. Der Teller wird überdimensional groß an die Wand projiziert, wodurch die Betrachtung und Erforschung im Vergleich zum Original erheblich erleichtert wird. Die Besucher*innen können einzelne Szenen des Bildes auf einem Touchmonitor auswählen und die Exploration selbst steuern. Die Komplexität des Bildes wird aufgelöst, indem die Figuren zu den Betrachter*innen sprechen.

Für uns ist diese Art der Interaktion mit unserem Publikum auch ein Novum, wir sind gespannt, ob und wie die Anwendung angenommen wird. Dahinter steht auch die Frage: Gelingt wissenschaftlich fundierte Vermittlung mit Gaming-Elementen? Für alle, die weniger interagieren wollen, zeigen und erläutern wir im Museumskino in einem analogen Film ein 3D-Modell des Tellers. Der Vorteil bei dieser Präsentation liegt darin, dass ausführlicher über die Metaebene des Tellers erzählt werden kann, also die nicht minder spannende Geschichte von seiner Entstehung und seinem Weg ins Schloss Ambrass.

Unsere Leser*innen interessiert natürlich besonders, ob und warum Ihr Ideen verworfen habt, gab es zum Beispiel unerwartete Entwicklungen? Berichtet uns von Eurem Entscheidungsprozess!

Natürlich. Neue Erkenntnisse führen häufiger zu Änderungen in der Entwicklung. Zunächst hatten wir z.B. geplant, einen 3D-Scan vom Ambraser Teller zu erstellen, der auf einem Tisch stehen sollte. Im Entwicklungsprozess haben wir für den Prototyp zunächst eine simple hängende Projektionsfläche konstruiert, welche uns nun in der Umsetzung praktikabler erscheint als die ursprünglich geplante liegende Tellerversion. Wir werden den Teller an die Wand projizieren. Somit ist das Objekt präsenter, es strahlt förmlich in den Raum hinein, kann bereits von Weitem erfasst und von mehreren Personen gleichzeitig betrachtet werden – immerhin hat die Projektion unseres Tellers einen Durchmesser von 1,6 m.

Woran arbeitet Ihr selbst gerade konkret und welche sind Eure nächsten Schritte?

Die Besucher*innen sollen den Teller selbst erforschen können, dabei wollen wir trotzdem ihren Blick sanft in eine bestimmte Richtung lenken: Es gibt in dem scheinbaren Durcheinander der Darstellungen eine durchaus logische Erzählreihenfolge. Daher war die Erarbeitung des Storytellings der digitalen Anwendung ein großes Stück Arbeit – neben der Programmierung. Nun müssen noch die Texte gesprochen und eingepflegt werden – bislang hatten wir diese aus Kostengründen zu Testzwecken per computergesteuerter Sprachassistenz erstellt.
Letzte Feinjustierungen folgen – aber wir können bereits die Ziellinie sehen!

Und zum Abschluss noch: Was ratet Ihr Kolleg*innen aus dem Kulturbereich, die ein ähnliches Projekt angehen möchten?

Zunächst einmal: Eine gute Planung. Vor die Frage des „Wie“ gehört das „Was“: Was möchte ich darstellen, und was möchte ich mit der digitalen Anwendung erreichen? Wie kann ich meinen Besucher*innen einen Mehrwert bieten? Und schließlich: Welche Technologie ist am besten geeignet, um mein Ziel zu erreichen?

Ich lege jedem ans Herzen, nicht nur die Entwicklungs-, sondern auch die Folgekosten in die Kalkulation mit einzubeziehen. So verlockend die Digitalisierung auch ist, und welch großartige Chance sie auch bietet – die Technologie schreitet unaufhaltsam voran und bedarf ständiger Anpassungen, das betrifft die Hardware ebenso wie die Software. Noch ist die Technik anfällig für Fehler, Ausfälle oder Bedienungsfehler kommen vor. Eine jahrelange Dauerausstellung, die höchstens mal zwischendurch abgestaubt werden muss? Das sind – salopp gesprochen – wohl Träume von gestern. Als letzten Gedanken möchte ich noch daran erinnern, alle Mitarbeiter*innen mit auf die digitale Reise zu nehmen. Häufig entspringt die ablehnende Haltung gegenüber der Digitalisierung einer Angst gegenüber dem Neuen, das Vertraute Terrain muss verlassen werden. Hier braucht man Verständnis, etwas Geduld und Überzeugungskraft.

Fragen von Dr. Silke Krohn und Mira Hoffmann, Antworten von Vera Jovic-Burger

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