Der Ambraser Narrenteller digital

Es ist ein vergrößertes auf die Wand projeziertes Modell des Ambraser Narrenteller in der Ausstellung zu sehen.
Der Ambraser Narrenteller digital, Peter Bandle, CC BY 4.0

Überblick

Die digitale interaktive Präsentation des Ambraser Tellers, der übervoll mit Narrenmotiven bemalt ist, ermöglicht es den Besucher*innen, den Teller aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und ein tieferes Verständnis für seine künstlerische und historische Bedeutung zu entwickeln. Diese andere Art der Kunstvermittlung bietet eine spannende Möglichkeit, Zugang zur Kunst und den dargestellten Symboliken zu erhalten und dadurch neue Zielgruppen zu erschließen.

Bibliographische Angaben

Institution
Museen der Schwäbisch-alemannischen Fastnacht
Teilprojekt
Kulturgut Fastnacht digital
Autor*innen
Peter Bandle, Werner Mezger
Veröffentlicht
24.04.2023
Lizenz der Publikation
CC BY-NC-SA 4.0
Kontakt
Vera Jovic-Burger
Museen der Schwäbisch-Alemannischen Fastnacht, Fastnachtsmuseum Narrenschopf, Bad Dürrheim
info@narrenschopf.de

Entwicklung

Eine interaktive, exploraitve Version des digitalisierten Ambraser Narrentellers aus dem Jahre 1528 ermöglicht es den Museumsbesucher*innen, die Narrenmotive selbständig zu entdecken und zu entschlüsseln.

Inhaltliches Konzept

Bei dem sogenannten Ambraser Narrenteller handelt es sich um eine kostbare hölzerne Zierschüssel von 79,8 cm Durchmesser, die 1528 in der Werkstatt des Augsburger Künstlers Jörg Breu d. Ä. mit einer Fülle närrischer Motive bemalt wurde. Ausgestellt ist der Teller heute in der Kunstkammer von Schloss Ambras bei Innsbruck, einer Außenstelle des Kunsthistorischen Museums in Wien.

Das närrische Universum des Tellers mit seinen knapp 60 abgebildeten Figuren erzählt eine ungemein differenzierte Geschichte vom epidemischen Umsichgreifen der Narrheit in der Welt und von zahlreichen, durchweg zum Scheitern verurteilten Versuchen, den globalen Wahnsinn der Menschheit wieder loszuwerden. Der Bilderreigen führt damit, wenn auch in ganz eigenständiger Weise, die Narrenphilosophie Sebastian Brants fort. Nachdem im Rahmen des Projekts „museum4punkt0“ bereits ein analoger Film (30 min.) über das Bildprogramm des Tellers mit deutschem und englischem Offtext entstanden ist, wurde mit der interaktiven Präsentation des Objekts ein neuer, spielerischer, aber nicht minder informativer Vermittlungsweg der Bildinhalte ans Museumspublikum versucht.

Mit Hilfe der Projektion des Tellers auf eine runde Scheibe vom doppelten Durchmesser des Originals können die Besucherinnen und Besucher in der interaktiven Präsentation des Objekts mit dessen abgebildeten Einzelfiguren oder Figurengruppen in Kontakt treten und sie nach ihrem jeweiligen Tun befragen. Die in den einzelnen Phasen des Spiels ansprechbaren Figuren sind im Gesamtbild durch erhöhte Leuchtkraft hervorgehoben. Über die Auswahl und Reihenfolge der befragten Figuren des Tellers entscheiden die Besucherinnen und Besucher selbstständig jeweils durch Mausklick auf einem Tablet oder direkt in der Projektion, wo die Cursor-Bewegungen ebenfalls sichtbar sind. Die Figuren, denen professionelle Sprecher ihre Stimme geliehen haben, geben dann in der Ich- oder Wir-Form über ihre jeweiligen Aktivitäten Auskunft. Dank komplex angelegter, verschiedener Audio-Ebenen kann die Erschließung der Bildinhalte durch die Betrachter je nach dem gewählten Weg und Umweg zwischen 7 und 15 Minuten dauern. Alle Spieldurchgänge – egal ob in kürzerer oder ausführlicherer Form – sind so konzipiert, dass die Spielerinnen und Spieler am Ende die Bildbotschaft des Tellers sowie dessen Intentionen und ursprüngliche Funktion verstehen.

Diese interaktive digitale Präsentation eines Kunstobjekts hat insofern Pioniercharakter, als sie erstmals einen Dialog zwischen den Betrachtenden und den bildlich dargestellten Figuren ermöglicht, aus dem sich am Ende eine vollständige Interpretation des Werks ergibt. Technisch komplex, aber in der Anwendung höchst effektiv und insbesondere auch für Kinder geeignet, könnte das am Ambraser Narrenteller entwickelte Vermittlungsverfahren richtungsweisend sein für eine ganz neue Art der inhaltlichen Erschließung vielfiguriger Darstellungen der bildenden Kunst. Als dankbare Objekte wären hier etwa Werke von Pieter Bruegel d. Ä. wie „Die Kinderspiele“ (Wien, KHM) oder „Die niederländischen Sprichwörter“ (Berlin, SPK) gut vorstellbar.

Technisches Konzept

Die Konzeptentwicklung begann mit einem analogen Papiermodell. Mit Hilfe einer Reißzwecke wurde das Bild des Narrentellers mittig aufgespießt, um eine Rotation zu ermöglichen. Um optische Effekte zu testen, wurde als zweite Lage eine schwarz-weiße Version des Bildes, in der ein Randbild ausgeschnitten wurde, eingefügt. Zusätzlich wurde eine Schablone mit transparenter milchiger Folie als oberste Schicht aufgelegt. Somit war es möglich, die Außenbilder zu rotieren.

Das Papiermodell des bemalten Holztellers wurde gebaut, um die Entwicklung der digitalen Anwendung zu besprechen. Man kann sehen, wie sich der Tellerrand drehen lässt.
Zur Entwicklung der Touchprojektion des bemalten Holztellers aus dem Jahre 1528 wurde zur Veranschaulichung zunächst ein Papiermodell gebaut. Foto: Peter Bandle, CC BY 4.0

Nach dieser haptischen und optischen Erfahrung begann die Digitalisierung. Da die einzusetzende Hardware noch nicht feststand und die Entwicklung relativ einfach gehalten werden sollte, wurden erste Web-Versionen erstellt. In dieser gab es zwei digitale Schiebregler. Der eine steuerte die Rotation der Außenbilder, der andere das Zoom des Innenbildes.

Anfangs wurde mit gering aufgelösten Bildern des Narrentellers gearbeitet, die Schatten hatten, total verspiegelt waren und sehr unrund liefen. Der Vorteil von Web-Anwendungen ist jedoch, dass die Medieninhalte einfach ersetzt werden können und der Code dafür nicht verändert werden muss. Somit konnte bereits eine Programmstruktur erstellt werden, ohne dass der fehlende Content die Entwicklung behinderte. Wir hatten somit ein Grundgerüst auf Web-Basis geschaffen, das universell auf verschieden Plattformen funktioniert. Damit konnten wir nun testen, wie sich der Teller bewegen und was wann passieren soll.

Der Inhalt wurde parallel zum technischen Konzept entwickelt. Hintergrund war, dass die Technik einen Rahmen bietet, an der sich der Inhalt orientieren muss.

Während der Entwicklung gab es Überlegungen, die Anwendung in einer Game Engine fortzusetzen oder eine native App zu erstellen. Jedoch hätte eine Game Engine mehr Systemressourcen beansprucht, und eine native App schränkt bei der Wahl der verwendeten Hardware sehr stark ein. Des Weiteren muss man für Apps und Programme regelmäßige Updates bereitstellen, um eine Nutzung in der Zukunft sicherzustellen.

Deswegen haben wir uns für die Web-Technologie entschieden. Denn eine Webseite aus den Anfängen des Webs funktioniert noch heute in unseren Internet-Browsern. Somit ist sichergestellt, dass die Anwendung im Sinne der Nachhaltigkeit auch ohne Wartung in überschaubarer Zukunft funktioniert.

Implementierung und Inbetriebnahme

Spezifische Herausforderungen waren die individuellen Browsereigenschaften und die individuellen Anpassungen dafür im Code. Bei Safari auf iOS und iPad OS werden Audios an ein Click-Event gebunden und nicht automatisch abgespielt.

Als Hardware für die Präsentation kommen im Museum ein iPad Pro 12,9* mit M1 und ein Laserprojektor zum Einsatz. Entwickelt wurde die Anwendung auf dem Dell XPS 15 auf dem sie ebenfalls reibungslos funktioniert. Programmiert wurde die Anwendung auf Webbasis mit VisualStudio-Code.

Prozessgestaltung: Es wurden verschiedene Code-Versionen erstellt, damit neue Funktionen isoliert getestet werden konnten.

Lesen Sie gern den Code auf Github nach. Selbst wenn Sie keinerlei Programmierkenntnisse haben, stehen dort zum einem sehr viele technische Hinweise und zum anderen werden Codeabschnitte auch durch Kommentare erklärt.

Nachnutzung und Weiterentwicklung

Für die Nachnutzung dieser Anwendung, muss der Code für andere Kunstwerke angepasst werden. Spezielle Zoomfahrten, Drehungen oder Verschiebungen müssen in den Funktionen auf das jeweilige Bild angepasst werden. Die Anwendung wurde für dieses eine Bild entwickelt, und da jedes Bild anders ist, müssen entsprechende Korrekturen vorgenommen werden. Empfehlenswert ist es, ein neues Projekt aus einzelnen Blöcken aus dem Code aufzubauen.

Der große Vorteil dieser Anwendung ist, dass sie vom Betriebssystem völlig unabhängig ist. Notwendig ist, dass das verwendete System einen möglichst aktuellen Webbrowser mit JavaScript-Unterstützung besitzt und die Hardware je nach Datenmenge eine entsprechende Leistung zur Verfügung stellt. Auf einem PC läuft die WebApp am besten im Google Chrome Browser. Dieser bietet die meisten Funktionen und erlaubt auch eine offline Installation.

Aufgrund der gewünschten Darstellung – der Ambraser Teller wird auf einen Durchmesser von 1,6m gezoomt und hat damit die doppelte Größe des Originaltellers – wird im Fastnachtsmuseum das Bild mittels Beamer an die Wand projiziert Von der ursprünglich angedachten Touchprojektion des Beamerbildes wurde aufgrund der Projektionsgröße abgesehen. Kleinere Personen könnten nicht alle Bildbereiche erreichen. Deshalb wurde als Bedienpanel das IPad als Medienstation vorgeschaltet.

In Tests erwies sich jedoch auch die Verwendung eines interaktiven Displays als geeignet, je nach Präsentationswunsch sind hier Bildschirme ab einer Größe von 55 Zoll geeignet.

Bereitstellung der Nachnutzung

Die Quelldateien mitsamt technischer Dokumentation steht anderen Kultureinrichtungen zum Download und zur individuellen Anpassung auf GitHub zur Verfügung. Weitere Elemente der Nachnutzung finden Sie im Anhang dieser Publikation.

Der Code der Anwendung kann auf Github eingesehen und verwendet werden. Die Bilder und die Audiodateien sind durch ein dementsprechendes Copyright geschützt. Für die Nachnutzung muss der Code für neue Projekte angepasst werden. Jedoch können Ideen gesammelt und Codeschnipsel für andere Projekte übernommen werden. Beispiele sind Wimmelbilder, Bilder, auf denen Objekte erklärt werden oder Bilde, auf den Personen sprechen sollen.

Besucherforschung und Usability Tests

Für die Besucherforschung wurden Fragebögen ausgelegt, die die Besuchenden freiwillig bearbeiten konnten. Die im Bogen enthaltenen Fragen bezogen sich auf die Art der Rezeption und die Bewertung der Inhalte.

Evaluierung

Die ausgefüllten Evaluationsbögen waren sehr positiv. Negativ übermittelt wurde, dass einigen Besuchenden die Sprechertexte der einzelnen Figuren zu lange und zu ausführlich waren.

Unser Fazit aus den Fragebögen: Die Sprechertexte sollten gekürzt werden. Eine Kürzung wäre mit überschaubarem Aufwand möglich, konnte aber im Rahmen von museum4punkt0 nicht mehr umgesetzt werden.

Erfahrungen

Wir empfehlen statt einer Projektion mit indirekter Bedienung über ein IPad die Verwendung eines Touch-Displays. Das ist benutzerfreundlich und weniger fehleranfällig.

Weitere Ergebnisse im Teilprojekt

Bild zum Ergebnis: Masterbrain
Digitale Vermittlungstools

Masterbrain

Museen der Schwäbisch-alemannischen Fastnacht

Master Brain ist die digitale Plattform für personalisierte, interaktive und individualisierte Museumsführungen.
Bild zum Ergebnis: Maskenpaternoster
Digitale Vermittlungstools

Maskenpaternoster

Museen der Schwäbisch-alemannischen Fastnacht

Zur Vermittlung der Figurensammlung wurde ein interaktives Tool im Fasnachtsmuseums Schloss Langenstein entwickelt.

Impulse & Tools für die digitale Kulturvermittlung

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