Tauchfahrt durchs Grundwasser und Hologramme – Immersives Erleben eines unbekannten Lebensraums und seiner Bewohner

Bei einer virtuellen Tauchfahrt durch das Grundwasser begegnen die Besucher*innen den unbekannten Bewohnern dieses Lebensraums, Foto: Anja Weber, SMNG, CC BY 4.0

Überblick

Das Grundwasser ist ein Lebensraum, der für uns Menschen nicht zugänglich ist und uns deshalb fremd bleibt. Für die internationale Wanderausstellung „Grundwasser lebt!“ entwickelten wir eine Anwendung, mit der unsere Besucher*innen – verkleinert auf die Größe einer Grundwasserassel (1 cm) – eine Grundwasserlandschaft immersiv und interaktiv erkunden können. Zusätzlich entwickelten wir ein Display für den Einsatz im Museum weiter, dass die verschiedene Grundwasserorganismen als Hologramme darstellt.

 

Bibliographische Angaben

Institution
Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz
Teilprojekt
Forschung in Museen erklären, verstehen, mitmachen
Autor*innen
Lisa Janke, Kristin Baber, Helga Zumkowski-Xylander, Franziska Saalmann, Franziska Fritzsche, Anja Weber, Lutz Westermann und Sebastian Mühlhäuser (.hapto GmbH), Willi Xylander
Veröffentlicht
13.06.2023
Lizenz der Publikation
CC BY 4.0
Kontakt
Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz
post-gr@senckenberg.de

Entwicklung

Mit diesem Projekt lassen wir unsere Besucher*innen eintauchen in die verborgene Welt unter unseren Füßen – das Grundwasser. Es ist weit mehr als eine Ressource für Trinkwasser. Es ist ein Lebensraum von unschätzbarem Wert. Die im Grundwasser lebenden Organismen erfüllen wichtige Funktionen wie die Umwandlung von Nährstoffen, die Sicherstellung des Wasserflusses und die Reinigung des Wassers von Schadstoffen. Das Grundwasser beherbergt eine Artenvielfalt, die den meisten Menschen völlig unbekannt ist. Einige Arten sind lebende Fossilien; viele lassen sich nur durch genetische Untersuchungen unterscheiden. Unsere Wanderausstellung „Grundwasser lebt!“ will den Besucher*innen dieses unbekannte Ökosystem näherbringen und für den Schutz des Grundwassers sensibilisieren.

Blick in die Wanderausstellung „Grundwasser lebt!“, Foto: Jacqueline Gitschmann, SMNG, CC BY 4.0

Als Teil der Wanderausstellung macht eine digitale Anwendung den sonst unzugänglichen Lebensraum und die Lebewesen des Grundwassers, ihre Vielfalt und Besonderheiten durch einen immersiven und emotionalen Vermittlungsansatz zugänglich. Die Organismen des Grundwassers sind mit bloßem Auge kaum zu erkennen und bestehen hauptsächlich aus mikrometer- bis millimeterkleinen Bakterien, Krebstieren und Würmern. In größeren Höhlen kommen auch Wirbeltiere wie Fische oder Amphibien vor. Die an Dunkelheit, Enge, Nährstoffarmut und kühle Temperaturen angepassten Tiere sind meist farblos, viele sind augenlos. Gerade in dieser unwirtlichen, konkurrenz-armen Umgebung konnten die Überlebenskünstler mit ihren oft skurrilen Erscheinungsformen überdauern, während ihre Verwandten an der Oberfläche ausstarben. Das immersive Eintauchen in einen Grundwasserleiter und die Begegnung auf Augenhöhe mit den unbekannten Grundwassertieren hat das Potential, Menschen zu faszinieren und Interesse und Sympathie für die dort lebenden Organismen zu wecken.

Die Ausstellung wurde gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die Deutsche Bundesstiftung Umwelt. Die beschriebenen digitalen Anwendungen entstanden im Rahmen von museum4punkt0 und wurden in Zusammenarbeit mit den Senckenberg-Teams des Teilprojekts in museum4punkt0 und der Wanderausstellung, den Grundwasssertier-Expert*innen des IGÖ und der Firma .hapto entwickelt.

Inhaltliches Konzept

Ausgehend von den Vermittlungszielen und einer ersten Auswahl relevanter Organismen aus repräsentativen, in der Wanderausstellung detailliert vorgestellter Tiergruppen, wurde eine Leistungsbeschreibung erstellt und ein Vergabeverfahren mit Teilnahmewettbewerb durchgeführt. Die Firma .hapto bot ein Konzept an, das eine virtuelle Unterwasserfahrt durch das Grundwasser ermöglicht. Der Lebensraum und seine Bewohner werden stark vergrößert und interaktiv erlebbar gemacht. Der Grundwasserleiter mit seinem engen und dunklen Porensystem wurde als geschlossene und strukturreiche Höhlenwelt dreidimensional modelliert und ist interaktiv durchfahrbar. Die Nutzer*innen nehmen die Perspektive von „U-Boot-Fahrer*innen“ ein, tasten mit Scheinwerfern die Umgebung ab und entdecken dabei naturgetreu animierte 3D-Modelle von Grundwasserorganismen. Das inhaltliche Konzept baute auf den Erfahrungen mit unserer Virtual-Reality-Anwendung „Abenteuer Bodenleben“ auf, die ebenfalls einen verborgenen Lebensraum interaktiv erlebbar macht.

Eine Brunnenschnecke kriecht im Licht des Scheinwerfers über den steinigen Grund, Abbildung: .hapto, CC BY-NC-ND 4.0

Technisches Konzept

Zusammen mit der Ausstellung „Grundwasser lebt!“ wandert auch die Grundwassertauchfahrt und musste daher stabil und transportabel sein und schnell auf- und abgebaut werden können. Außerdem muss sichergestellt sein, dass nach kurzer Einweisung auch das Personal eines Leihnehmermuseums die Anwendung bedienen kann.

Drei große Bildschirme sind in Reihe geschaltet und ergeben ein Bild, das den Blick aus dem Fenster des imaginären U-Bootes in den Grundwasserlebensraum zeigt. Die Szene füllt fast das gesamte Sichtfeld der Nutzer*innen aus. Die dünnen Ränder der Bildschirme und der immer sichtbare Raum der Ausstellung geben dem Auge gleichzeitig Stabilität, so dass keine Motion Sickness auftritt. Die Bildschirme sind auf einer Plattform montiert, an der gegenüber der Bildschirmmitte eine Steuerkonsole befestigt ist, mit dem sich das „U-Boot“ steuern lässt. Verschiebbare Hocker stehen bereit und die Konsole ist für Rollstuhlfahrer*innen unterfahrbar. Durch Auslenken von zwei Joysticks können die Besucher*innen das U-Boot in der Umgebung steuern und die Blickrichtung verändern. Knöpfe an der Oberseite der Joysticks bieten zusätzlich die Funktionen Auftauchen, Abtauchen und Zoomen. Die Umgebung und die Tiermodelle wurden in Cinema4D erstellt. Die Applikation wurde in Unity entwickelt.

Implementierung und Inbetriebnahme

In einem iterativen Prozess modellierten und animierten die Entwickler einen Grundwasser-Porenraum und acht Tiermodelle. Dabei wurde die Morphologie und das Verhalten der Grundwassertiere durch die Expert*innen des IGÖ und weiterern Spezialist*innen geprüft und optimiert. Videos, Fotos, rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen und wissenschaftliche Illustrationen bildeten die Grundlage für die Gestaltung. Parallel dazu wurden Usability-Tests der Hardware und der Steuerung durchgeführt.

Weiterentwicklung

Kurz nach der Vergabe der Entwicklungsleistung für die Grundwassertauchfahrt präsentierte uns die Firma Voxon Photonics ihr volumetrisches Display. Das Gerät des australischen Start-Ups stellt dreidimensionale Modelle in Echtzeit dar und kann vollwertige Softwareanwendungen ausführen. Ein Projektor wirft eine halbe Milliarde Lichtpunkte pro Sekunde auf eine schnell auf und ab schwingende Projektionsfläche. Die Darstellung der Modelle ist omnidirektional und benötigt keine zusätzlichen Hilfsmittel wie z.B. eine Brille. Das Produkt ist bereits in den Markt eingeführt, doch bisher nur bei wenigen Akteuren in der Anwendung und wird stets weiterentwickelt. Wir sahen einen Mehrwert darin, die 3D-Modelle der Grundwassertiere zusätzlich auf einem solchen Display darzustellen und so im Detail erfahrbar zu machen. Unser Ziel war es, das volumetrische Display als Modul in die Grundwassertauchfahrt zu integrieren. Hier sollten die Nutzer*innen die Möglichkeit haben, die bereits in der Tauchfahrt entdeckten Tiere als Hologramme interaktiv von allen Seiten betrachten zu können und sich mit den morphologischen Merkmalen auseinanderzusetzen. Die Wirkung der Hologramme und die Faszination der innovativen Technik entsprachen der Ästhetik der transparenten, bizarr geformten Grundwassertiere und unserem Vermittlungsziel. Deshalb beauftragten wir .hapto in einem Folgeauftrag mit der Entwicklung einer sicheren und schallreduzierenden Einhausung und einer interaktiven, benutzerfreundlichen Steuerung, die das innovative Display auch tatsächlich im Museum einsetzbar macht. Bei der Umsetzung unterstützte uns die Firma Voxon, die an einer konkreten Anwendung im Einsatz in der musealen Praxis für ihr Produkt interessiert ist und unsere Erfahrungen in die Weiterentwicklung des Displays einfließen lassen wird.

Durch Gestensteuerung können die Grundwassertiere als Hologramm bis ins Detail betrachtet werden., Foto: Jacqueline Gitschmann, SMNG, CC BY-NC-ND 4.0

In der Ausstellung ist das volumetrische Display bisher in der Nähe der Steuerkonsole der Tauchfahrt platziert und zeigt jeweils ein 3D-Modell. Mit einem haptischen Rad können die Besucher*innen zwischen den verschiedenen Grundwassertieren wechseln. Durch Gestensteuerung können diese Modelle gedreht und vergrößert und verkleinert werden. Zusätzlich gibt es ein Modell des Grundwasserleiters, durch den die Tauchfahrt führt. Die Live-Position des U-Bootes und die Standorte der verschiedenen Organismen sind darin markiert, sodass die Nutzer*innen der Hologram-Station die U-Boot-Pilot*innen anleiten können und ein soziales Erlebnis zwischen den Nutzer*innen des U-Boots und des Hologramms entsteht.

Bei einer virtuelle Tauchfahrt durch das Grundwasser begegnen die Besucher*innen den oft unbekannten Bewohner*innen, Video: Anja Weber, SMNG, CC BY-NC-ND 4.0

Nachnutzung

Die beiden beschriebenen digitalen Anwendungen sind Teil der Wanderausstellung „Grundwasser lebt!“, die in den kommenden Jahren in Deutschland und im angrenzenden Ausland gezeigt werden wird. Nach den Erfahrungen des Senckenberg-Museums in Görlitz mit seinen internationalen Wanderausstellungen erwarten wir ca. 500.000 Besucher*innen in dieser Wanderausstellung an etwa 20 Standorten in den kommenden ca. zehn Jahren. Dies wird die wichtigste Nutzergruppe der Anwendungen sein.

Die Unity-Anwendung der Grundwassertauchfahrt kann auch auf einem PC ausgeführt werden. Sie erlaubt auch die Umschaltung in eine stereoskopische Ansicht der virtuellen Umgebung, aus der wiederum Videomaterial, etwa für VR-Cardboards, angefertigt werden kann. Aufgrund der positiven Erfahrungen mit der Hologramm-Station, die durch die interaktive Darstellung kleiner, filigraner Organismen und die Attraktivität des innovativen Mediums einen Mehrwert bietet, wurde eine zweite Station angeschafft. In diese konnten 3D-Datensätze von Bodenlebewesen, die bereits für unser Projekt „VR Abenteuer Bodenleben“ entwickelt wurden, integriert und somit weiter genutzt werden. Diese Station wandert mit der Wanderausstellung „Die dünne Haut der Erde – Unsere Böden“.

Bereitstellung der Nachnutzung

Die Quelldateien mitsamt technischer Dokumentation steht anderen Kultureinrichtungen zum Download und zur individuellen Anpassung auf GitHub zur Verfügung. Weitere Elemente der Nachnutzung finden Sie im Anhang dieser Publikation.

Evaluierung

Im Ausstellungsbetrieb wurde festgestellt, dass die Steuerung der Tauchfahrt mittels Joysticks und die Steuerung der Hologrammstation für einige Personen nicht selbsterklärend ist. Um die Situation zu analysieren und Anpassungsoptionen abzuleiten, wurden fünf Tester*innen mittels der „Laut-Denken-Methode“ bei ihrem Umgang mit den Steuerungen beobachtet. Zusätzlich wurde eine Nutzer*innen-Befragung über einen digitalen Fragebogen durchgeführt. Ein Aufsteller in unmittelbarer Nähe der Grundwassertauchfahrt und der Hologrammstation lud die Besucher*innen zur Teilnahme ein und ermöglichte über einen QR-Code den Aufruf des Fragebogens auf dem eigenen Smartphone. Der Fragebogen stand ausschließlich in deutscher Sprache zur Verfügung. Die Fragen zielten insbesondere auf die Verwendung der Steuerung der Anwendungen ab, außerdem auf das Wohlgefühl und die Emotionen der Nutzer*innen. Die Zusammenfassung der Fragebogen-Evaluation ist hier zu finden: Fragebögen Zusammenfassung (PDF).

Erfahrungen

Die Hologrammstation ist ein Besuchermagnet und bietet entsprechend unserer Vermittlungsziele eine spielerische, interaktive und detaillierte Auseinandersetzung mit unseren 3D-Modellen von Grundwasser- und Bodenorganismen und so Vorbehalte gegenüber bekannten Organismen abzubauen und gleichzeitig ein positives Verhältnis aufzubauen. Wir erwarten durch das tiefere Verständnis des Grundwassers als Lebensraum auch eine höhere Bereitschaft, Grundwasser zu schützen, Verschwendung zu verringern und im Sinne einer Vom-Wissen-zum Handeln-Strategie zum Natur-, Klima- und Ressourcenschutz beizutragen.

Leider ist das volumetrische Display noch störanfällig und erfordert einen höheren Wartungsaufwand. Im Laufe des Einsatzes in unseren Ausstellungen „Grundwasser lebt!“ und „Die dünne Haut der Erde – unsere Böden“ werden wir weitere Erfahrungen mit der technischen Betreuung sammeln und die Möglichkeiten der Fernwartung verbessern. Darüber hinaus stehen wir in engem Kontakt mit der Herstellerfirma und lassen unsere Erfahrungen aus der Praxis in die weitere Produktentwicklung einfließen.

Nachnutzbare Elemente

Fragebögen Zusammenfassung (PDF)

Quellenverzeichnis

Zumkowski-Xylander, Helga und Willi Xylander, Franziska Fritsche, Anika Neu, Anja Weber, 2022: Grundwasser lebt! Natur Forschung Museum 152 (7–9), S. 124–125.

Weitere Ergebnisse im Teilprojekt

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