17. August 2022
Wissenstransfer

“Materialisierung des Immateriellen“ am Institut für Museumsforschung

Wie kann immaterielles Kulturerbe erforscht werden? Welche Rolle spielt dabei die digitale Vermittlung? Die Kolleginnen des Teilprojektes berichten.

Hinter den Kulissen der Teilprojekte: Materialisierung des Immateriellen
Hinter den Kulissen der Teilprojekte: Materialisierung des Immateriellen, Grafik: Stiftung Preußischer Kulturbesitz / museum4punkt0 / Julia Rhein, CC BY 4.0

Das Teilprojekt heißt „Materialisierung des Immateriellen“ – berichtet uns kurz zur Einführung, was Ihr vorhabt!

In unserem Teilprojekt befassen wir uns mit den Möglichkeiten, Schwierigkeiten und Grenzen der digitalen Vermittlung von immateriellem Kulturerbe (IKE) in Museen. Spannend ist hier besonders das Wechselspiel oder auch Spannungsfeld zwischen dem IKE als gelebte Praxis von Menschen, der Museumsarbeit und dem Digitalen. Zentral ist für uns die Frage, inwiefern digitale Formate einen Beitrag dazu leisten können, das immaterielle Kulturerbe zu bewahren und zu vermitteln, es weiterzuentwickeln und sogar zu transformieren.

Unser Vorhaben ist 1) die Befragung von 100 Museen zu ihren digitalen Angeboten zu immateriellen Kulturerbe und 2) die Durchführung von Tiefeninterviews mit ausgewählten Häusern, um weiterführende und detailliertere Informationen zu den Funktions- und Wirkweisen dieser digitalen Angebote zur Vermittlung des IKE zu erhalten.

Dabei möchten wir vor allem Möglichkeiten der Interaktion und Partizipation beleuchten sowie Fragen nach der Rezeption, der Annahme und Wahrnehmung der Anwendungen stellen. Hier interessiert uns besonders, wie durch das digitale Angebot neue Formen der Kommunikation und des Austauschs, beispielsweise der Vernetzung der Nutzer*innen bzw. IKE-Träger*innen, ermöglicht werden und welche Gefühle dabei evoziert werden.

Unsere gesammelten Ergebnisse, wie Anwendungen, Gutachten mit Diskussionen zu den good-practice-Beispielen und lessons learned werden wir in einem besonderen Bereich auf der museum4punkt0-Plattform präsentieren.

Wie setzt sich Euer Team zusammen, welche Abteilungen des Instituts für Museumsforschung (IfM) bindet Ihr wie in den Konzeptions- und Entwicklungsprozess ein?

Prof. Dr. Patricia Rahemipour – Direktorin des IfM – und Kathrin Grotz als stellvertretende Direktorin leiten das Projekt und haben es auch konzipiert.

Wir, Julie Piesbergen und Friederike Berlekamp, sind als Projektmitarbeiterinnen für die Umsetzung verantwortlich. Wir arbeiten als transdisziplinäres Team und verbinden Herangehensweisen und Fragestellungen der Kulturanthropologie und der Psychologie. Dank der Verknüpfung dieser beiden Perspektiven ist es uns möglich, die vielschichtigen Dimensionen des IKE und seiner digitalen Vermittlung im Museum zu beleuchten und dabei die Vielfalt, Komplexität und Paradoxien dieses Themenfeldes zu ergründen.

Tatkräftig werden wir auch von unseren Kolleg*innen des IfM unterstützt. Insbesondere die jährliche statistische Erhebung war für uns ein wichtiger Ausgangspunkt, um Museen mit einem starken Bezug zum IKE für unsere Befragung auswählen zu können. Auch für die Vorbereitung der Ergebnispräsentation konnten unsere Kolleg*innen mit ihren Kenntnissen zur digitalen Objektdokumentation wichtige Hilfestellungen leisten. Einen großen Dank an dieser Stelle!

Welche Methoden möchtet Ihr für die Umsetzung nutzen, in welche Richtung gehen Eure Überlegungen?

Für unsere Bestandsaufnahme haben wir zunächst einen umfassenden sowohl qualitativen als auch quantitativen Fragenkatalog entwickelt, der folgende Themenfelder umfasst: 1. IKE und IKE im Museum, 2. Digitale Anwendungen: Technik, Gestaltung und Benutzung sowie 3. Interaktion, Partizipation und Transformation.

Die Methode der qualitativen Tiefeninterviews erlaubt uns eine detaillierte Analyse der Funktions- und Wirkweisen digitaler Anwendungen in der Vermittlung des IKE. Fokus waren hier Fragen nach dem Erreichen der Vermittlungsziele sowie die Ansprache der emotionalen Ebene. Zudem ging es um die individuellen Erfahrungen der Museen in der digitalen Vermittlung des IKE, insbesondere in der Konzeptions- und Entwicklungsphase. Die Interviews wurden basierend auf einen Leitfaden durchgeführt, die Audiomitschnitte wurden anschließend transkribiert. Für die Befragung der Benutzer*innen wollten wir die thinking-aloud-Methode anwenden, um so möglichst direkte und wenig gefilterte Informationen zu generieren. Im Projektverlauf mussten wir uns aber auf Interviews mit den Mitarbeiter*innen fokussieren.

Könnt Ihr schon konkrete Beispiele nennen, welche Daten ihr auswerten werdet? Von welcher Institution / welchen Institutionen bezieht ihr die Daten? Gibt es dafür Auswahlkriterien?

Wir können die Ergebnisse der Befragung in folgenden Kategorien bündeln und damit unserem Projektziel der Erstellung einer Übersicht der digitalen Anwendungen zum IKE in Museen einen großen Schritt näherkommen: Beschreibung der digitalen Anwendung, Konzeption & Entwicklung, Vermittlung & Benutzung, lessons learned sowie IKE und Museum. Bei der Durchführung der Tiefeninterviews mit Mitarbeiter*innen und im geringeren Umfang mit Nutzer*innen haben wir einzelne Aspekte, die wir im Folgenden detaillierter beschreiben, besonders hervorgehoben.

Das erste Tiefeninterview haben wir mit dem Porzellanikon Selb in Bayern durchgeführt. Da die Haptik ein wichtiges Element des IKE ist, interessierten wir uns besonders für Übertragungsmöglichkeiten in digitale Vermittlungsansätze. Während der pandemiebedingten Schließzeit hat das Porzellanikon eine YouTube-Videoanleitung zum Porzellangießen angeboten. Dafür konnten die Nutzer*innen sich im Rahmen des Internationalen Museumstags 2021 eine Materialtüte abholen, zuhause bearbeiten und formen und das Ergebnis anschließend ins Museum zum Brennen bringen. Hier fanden wir besonders interessant, dass die Nutzer*innen im Rahmen des Angebots selbst aktiv werden konnten und zur eigenen Arbeit mit Porzellan angeregt wurden. Zudem entstanden über das digitale Angebot direkte Kontakte zwischen Publikum und Museum.

Das zweite Tiefeninterview behandelte die Web-Anwendung „Stadtlabor Digital“ des Historischen Museums Frankfurts. „Stadtlabor Digital“ ist eine dynamische Plattform in Form eines digitalen Stadtplans und bietet Frankfurter*innen die Möglichkeit, eigene Inhalte, Bilder, Texte und Videos zu teilen und so „ihr Frankfurt zu zeigen“. Hier war insbesondere der partizipative und lebendige Charakter der Anwendung ein Kriterium für die Auswahl. Außerdem werden einige Beiträge in einer digitalen Karte im Museum gezeigt, wodurch eine Verbindung der Ausstellung mit dem öffentlichen Raum entsteht.

Das dritte Tiefeninterview fand im Leipziger Bachmuseum statt. Dort gibt es das Spiel „Bach interaktiv“, in dem Nutzer*innen u.a. ein eigenes Musikstück entwerfen können, sich spielerisch der Geschichte Bachs sowie Aspekten seiner musikalischen Werke annähern können. Das Spiel ist sowohl in der Ausstellung über eine Medienstation als auch online zugänglich, wodurch unterschiedliche Publika angesprochen werden. Auch hier entdeckten wir interessante Möglichkeiten der digitalen Vermittlung. Die Beschäftigung mit Bach und seiner Musik erfolgt zwar mithilfe des Museums, ist aber nicht an dieses und seine Gegebenheiten gebunden. Für diese Anwendung konnten wir die Nutzer*innen nach ihren Erfahrungen und ihrem Erleben befragen und die Ergebnisse in unsere Auswertung mit einfließen lassen.

Das vierte Tiefeninterview wurde mit dem Buddenbrookhaus in Lübeck durchgeführt, das momentan aufgrund von Umbauarbeiten geschlossen ist. In seinen Interimsräumen benutzt das Haus ein integratives System (Ambient Learning Spaces) bestehend aus einer Infogrid App, mit der sich die geschlossene Ausstellung digital erkunden lässt und einer Interactive Wall. Mit diesen beiden Anwendungen können Inhalte interaktiv und mit unterschiedlichen Formaten (Text, Bild, Video, AR) präsentiert werden. Hier interessierte uns insbesondere der raum- und körperbezogene Ansatz, der eine selbstbestimmte Bewegung im Raum ermöglicht und dadurch das Erleben und Lernen beeinflusst. Ein weiterer sehr spannender Aspekt war der partizipative und kollaborative Ansatz und die dahinterstehende Idee mithilfe eines solchen Systems verschiedene Bildungseinrichtungen und Stakeholder*innen miteinander zu verbinden, um so Inhalte gemeinsam zu generieren und nutzen.

Die Tiefeninterviews haben uns erlaubt zusätzlich zu den Angaben aus der Befragung weitergehende Informationen, vor allem hinsichtlich der Praktikabilität und der Umsetzung von digitalen Angeboten des IKE zu gewinnen.

Unsere Leser*innen interessiert natürlich besonders, ob und warum Ihr Ideen verworfen habt, gab es zum Beispiel unerwartete Entwicklungen? Berichtet uns von Eurem Entscheidungsprozess!

Mit den Tiefeninterviews wollten wir ursprünglich verschiedene Perspektiven, insbesondere die der Nutzer*innen auf das digitale Angebot besser kennenlernen. Aus verschiedenen Gründen war das aber nur in einem Fall möglich, weswegen wir uns auf Interviews mit Mitarbeitenden konzentriert haben.

Woran arbeitet Ihr selbst gerade konkret und welche sind Eure nächsten Schritte?

Momentan werten wir unsere umfangreiche Datenerhebung bestehend aus Bestandsaufnahme und Tiefeninterviews aus. Die Tiefeninterviews sind abgeschlossen und werden nun in einem weiteren Schritt transkribiert und qualitativ ausgewertet. Zudem bereinigen wir die quantitativen Daten für die statistische Auswertung.

Die Daten zu den digitalen Anwendungen und Erfahrungsberichten der Museen bereiten wir so auf, dass wir sie am Ende einem breiten Publikum aus dem Museums- und IKE-Bereich mit einer Präsentation der Anwendungen und den lessons learned auf der Plattform von museum4punkt0 sowie einem ausführlichen Gutachten zur Verfügung stellen können.

Und zum Abschluss noch: Was ratet Ihr Kolleg*innen aus dem Kulturbereich, die ein ähnliches Projekt angehen möchten?

Ein Learning für uns ist, dass zeitlich begrenzte Projekte einen durchdachten Projektmanagement-Plan benötigen. Ausschreibungen können, je nach Einrichtung, einen langen Vorlauf benötigen, hier sollte genug Zeit eingeplant werden. Auch die Datenauswertung beansprucht je nach Umfang der Erhebung und insbesondere bei qualitativem Material viel Zeit, weshalb die entsprechenden Methoden sorgsam ausgewählt werden sollten. Bei der Erstellung eines Fragebogens sollte bereits im Voraus die technische Umsetzung der Auswertung unbedingt mitgedacht werden. Zudem erleben wir den Austausch mit Kolleg*innen und unterschiedlichen Expert*innen als sehr bereichernd und würden – ganz im Sinne von museum4punkt0 – empfehlen: sich zu vernetzen, auszutauschen und gemeinsame Synergien zu nutzen.

Fragen von Dr. Silke Krohn und Mira Hoffmann, Antworten von Julie Piesbergen und Dr. Friederike Berlekamp

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Teilprojekt: Materialisierung des Immateriellen?
Teilprojekt

Materialisierung des Immateriellen?

Das museum4punkt0-Team des Instituts für Museumsforschung eruiert das Zusammen- und Wechselspiel von immateriellem Kulturerbe und digitalen Vermittlungsformaten.

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