21. April 2021
Verbundarbeit, Vermittlungskonzepte

Nachlese! Über 160 Interessierte an dritter Impulsveranstaltung

So wird aus einer einer innovativen Idee eine App, die vielen Museumsbesucher*innen einen ganz besonderen Zugang zu Objekten und Inhalten verschafft: „Ping! Die Museumsapp!“

museum4punkt0 | impulse-Veranstaltung
Ausschnitt der museum4punkt0 | impulse-Veranstaltung „Objektedating? Spielend im Museum!“ am 14. April 2021, Screenshot (Webex): museum4punkt0 / Stiftung Preußische Kulturbesitz, CC BY 4.0

In unserer dritten digitalen Veranstaltung 2021 der Reihe „museum4punkt0 | impulse“ ging es ganz konkret um eine der im Verbund museum4punkt0 entstandenen Anwendung. Die Projektleitung, Entwickler, Kurator*innen aus den Museen, Wissenschaftler*innen und weitere Expert*innen haben die App von der ersten Idee bis zur Nutzung in unterschiedlichen Kontexten vorgestellt. Allein schon die vielen beteiligten Referent*innen zeigen das Prinzip disziplin- und institutionsübergreifenden Arbeitens in museum4punkt0, ohne das die Entwicklung und Umsetzung eines digitalen Vermittlungsangebots nicht auskommt. Wie viele Schritte zu gehen und wie viele Weggabelungen zu passieren sind von der Entwicklung über die Weiterentwicklung bis zur (Nach-)Nutzung einer digitalen Anwendung – darüber haben Praxisberichte, Podiumsdiskussionen und Fishbowls der Veranstaltung informiert.

Von der Idee zur Umsetzung

Ein Date mit einem Museumobjekt? Die im Rahmen von museum4punkt0 entstandene Anwendung „Ping! Die Museumsapp“ nutzt Wischtechniken und Algorithmen, die aus Dating-Apps bekannt sind. Die Anwendung hat bereits großes Interesse anderer Institutionen geweckt – und erfüllt damit genau eines der Ziele des Verbundprojekts museum4punkt0: die Projektergebnisse und Praxiserfahrungen mit anderen Museen zu teilen.

Wie kam es zu der Idee? Lavinia Frey, Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, und Tom Lilge, gamelab.berlin der Humboldt-Universität zu Berlin, berichten von den Anfängen, den Arbeitsprozessen und präsentieren die Anwendung.

„Wenn man als Verbund zusammenarbeitet, sieht man erst, was alles möglich ist.“ – Lavinia Frey

Voller Vorfreude auf die weitere Nutzung der App durch andere Kulturinstitution verkündet Lavinia Frey die Veröffentlichung des Quellcodes auf GitHub sowie weiterer begleitender Informationen zu „Ping! Die Museumsapp“ auf der Verbundplattform von museums4punkt0. Die Bereitstellung des Codes und die Veröffentlichung zur Anwendung sind weniger Schluss- als Startpunkt des Projekts: Die Beteiligten bringen immer wieder zum Ausdruck, dass sie mit großem Interesse die nun folgende Verbreitung und Weiterentwicklung der App erwarten. Das Versprechen der steten gemeinsamen Weiterentwicklung steht ganz im Sinne des zeitgemäßen Anspruchs, Synergien zu nutzen, interdisziplinär und institutionsübergreifend in iterativen Prozessen zusammenzuarbeiten.

Gerade die Zusammenarbeit von Kurator*innen, Entwicklern und Wissenschaftler*innen, Lehrenden sowie Studierenden, ist das Erfolgsrezept für die Umsetzung der Idee gewesen, einen persönlichen emotionalen Zugang zu den Objekten über ein im Museumskontext eher ungewöhnliches Kommunikationsformat anzubieten. „Ping! Die Museumsapp“ gewährt den Nutzer*innen einen ganz anderen Zugang zu den Objekten eines Museums: Spielerisch und emotional werden die Exponate entdeckt. Die Wissensaneignung gelingt über einen auf den Wissensstand und die Interessen der Nutzer*innen zugeschnittenen Dialog im Chatformat, der wie das persönliche Kennenlernen in einem Date verlaufen kann.    

„Games sind Motivationswunder!“ – Tom Lilge

Die Lust am Spielen und der Entdeckungstrieb sind Motivationsauslöser, die Tom Lilge und sein Team in der App-Konzeption genutzt haben: Die Nutzer*innen werden gleich zu Beginn in eine spielerische Interaktion hineingeholt, die mit der aus Dating-Apps bekannten Auswahlfunktion sicher auch auf einen Überraschungseffekt setzen kann. Gezeigt wird das Detailfoto eines Objekts: nach links gewischt heißt „gerade kein Interesse“, nach rechts „bitte mehr erfahren“. Ist die Neugier über diesen unerwarteten Einstieg geweckt, treten die Nutzer*innen ein in einen interaktiven Dialog mit dem Objekt. Die angebotenen auf Pointen abzielenden Objekt-Chats bieten den Nutzer*innen unterschiedliche Antwortmöglichkeiten. Die erste Begegnung mit dem Exponat ist von der App als Entdeckung inszeniert. Angesichts des Objekts beginnt der zweite Teil des Chats. Abschließend können die Nutzer*innen ein Foto erstellen und damit in der App ihre Begegnung festhalten.

Chat im Museum: Objekte sprechen lassen statt über Objekte zu sprechen

museum4punkt0 öffnet einen Testraum für die prototypische Entwicklung neuer Partizipationsangebote. Die Konzeption eines digitalen Tools steht damit im Kontext des Diskurses zeitgemäßer Kulturvermittlung. Folglich wurde die App-Präsentation begleitet von der Frage „Spielerisch das Museum entdecken?“. Dabei geht es in diesem Fall nicht um ein in sich abgeschlossenes Spiel, sondern darum, spielerisch einen persönlichen Zugang zu den Objekten anzubieten. Das Exponat wird quasi vom betrachteten Objekt zum subjektivierten Dialogpartner. 

Was heißt es aber nun für Museumsleitungen und Kurator*innen, eine solche ungewöhnliche Vermittlungssituation zuzulassen? Wie schreibt man einen verzweigten Dialog, den ein Exponat mit den Besucher*innen führt, über das man üblicherweise aus achtungsvoller Distanz mit wissenschaftlicher Präzision informiert? Noch dazu, wenn ein spielerisch emotionaler Zugang keineswegs Freibrief für wissenschaftliche Ungenauigkeiten sein kann – ganz im Gegenteil: Gerade der emotionale Zugang verspricht eine besonders nachhaltige Wissensaneignung der Nutzer*innen.  

Neben den Chancen des spielerischen Interagierens im Museum wurden die iterativen Prozesse einer App-Entwicklung auf dem digitalen Podium diskutiert. „Ich als Kuratorin habe extrem viel gelernt. Wissen in fünf Worten zu vermitteln, war teilweise komplizierter als einen wissenschaftlichen Beitrag zu schreiben“, berichtet die Kuratorin Dr. María López-Fanjul, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst im Bode-Museum. Sie spricht von der überaus produktiven Zusammenarbeit mit der Universität Greifswald. Auch die Studierenden konnten von der spannenden Kooperation im Entwicklungsprozess der App profitieren, wie Prof. Dr. Isabelle Dolezalek berichtet. Sie haben sich in eine ganz neue Art des Schreibens einarbeiten müssen, um die Objekte aus ihrem Leben erzählen zu lassen: „Die armen Studierenden mussten einen Entwurf nach dem anderen liefern.“ Die Objektauswahl wurde mit ihnen gemeinsam getroffen – „Überraschungen gibt es am Ende immer!“, wie Dr. María López-Fanjul zu berichten weiß.

Tatsächlich verlangt die App von den Autor*innen der Chats, ihre neutrale Position gegenüber dem Objekt aufzugeben, stellt Dr. Christian Stein vom gamelab.berlin der Humboldt-Universität zu Berlin klar. Es gehe um eine „radikale Subjektivierung“, um die „Emotionalität des Objekts“.

Wie sehr alle Beteiligten von der respektvollen, engen institutionsübergreifenden Zusammenarbeit profitiert haben, bestätigt auch der Entwickler Tom Lilge vom gamelab.berlin der Humboldt-Universität zu Berlin: „Alle haben ihren Anteil am Erfolg der App.“ In den vielen Gesprächen auf Augenhöhe haben alle voneinander und miteinander gelernt. Dr. Christian Stein schließt sich seinem Kollegen an und spricht von der „tollen Erfahrung, mit Studierenden zusammenzuarbeiten, die neue Perspektiven auf die Objekte“ einbringen.

Den Gewinn, „in andere Perspektiven zu rutschen“, erkennt auch Lavinia Frey, Leiterin des museum4punkt0-Teilprojekts „Der humboldt’sche Kosmos im digitalen Raum“ bei der Stiftung Humboldt Forum im Schloss. Sicherlich seien Kurator*innen andere Arbeitsweisen gewohnt, doch je länger man sich in diesem neuartigen Textformat bewege, umso mehr Freude finde man daran.  Das Verfassen der Chat-Dialoge, von denen die App lebt, ermögliche „echte Multiperspektivität“, so Tom Lilge: Die Autorenschaft sollte unbedingt geöffnet und etwa auf lokale Communities ausgeweitet werden. „Ping! Die Museumsapp“ ermögliche den Museen, die die App nutzen wollen, „hoch integratives Arbeiten“.

Die bereichernden vielschichtigen Arbeitsprozesse in der Umsetzung der App entsprechen dem Innovationsgehalt der Idee: Alle Beteiligten haben gemeinsam das Experiment gewagt, eine neuartige Vermittlungssituation zu realisieren. Das kongeniale Zusammenspiel von digitaler Kommunikation im analogen Raum, das die App noch dazu in einem eher museumsfernen Format anbietet, hat allen Beteiligten ein iteratives Vorantasten abverlangt.

Die permanente Reflexion und Optimierung basiert insbesondere auf Praxistests, die von den ersten Umsetzungsschritten an in die Entwicklung eingeflossen sind.  

Raus ins „Feld“: Testen, testen, testen

„Testen sollte Teil der Nutzung sein.“ – Dr. Christian Stein

Dr. Christian Stein vom gamelab.berlin der Humboldt-Universität zu Berlin stellt die konsequente Herangehensweise einer nutzer*innenzentrierten App-Entwicklung vor: „Während der Entwicklung testen und die Ergebnisse in die Entwicklung einfließen lassen.“ In den unterschiedlichen Testphasen haben über 400 Tester *innen die Anwendung durchgespielt, in der Hochphase wurde die App alle sechs bis acht Wochen mit quantitativen und qualitativen Methoden getestet. Und dabei gilt: Die Entwicklung ist nie vollständig abgeschlossen. So wie sich die technischen Möglichkeiten permanent verändern, sollten auch Erkenntnisse aus der App-Nutzung genutzt werden, um die Anwendung – gemeinsam mit anderen Häusern – weiterzuentwickeln.

Ein älteres französisches Ehepaar streift, nach einer langen Tour über die ganze Museumsinsel schon sichtlich ermüdet, durchs Bode-Museum: mit großem Interesse und erschöpfter Aufnahmefähigkeit. Kurz darauf stehen sie kichernd vor einem Exponat. Im Testlauf zeigt „Ping! Die Museumsapp“, wie erfrischend ein anderer Zugang zu den Objekten sein kann. Die Dialoge sind nicht länger als etwa 60 Zeilen, das in der persönlichen Interaktion selbst angeeignete Wissen bleibt dafür umso nachhaltiger haften. Und längst ist klar: Emotionale, spielerische, persönliche Zugänge sprechen nicht nur eine jüngere Zielgruppe an. Entdeckertrieb und Spiellust stecken in uns allen und helfen, das angeeignete Wissen abzuspeichern. So konnte die zunächst in den Blick genommene Zielgruppe, digital Affine, eher Jüngere, schnell ausgeweitet werden. Auch der Wunsch, die App zu zweit oder zu dritt zu nutzen, ist eines der Testergebnisse.

Nachnutzen und weiterentwickeln

Im Zuge der Umsetzung eines neuen Museumskonzepts hat das Badische Landesmuseum einen Bürgerbeirat zur digitalen Weiterentwicklung des Museums gegründet. Die Idee, einen Dialog mit den Objekten zu führen, und dazu eventuell auch „Tinder“-Mechanismen zu nutzen, wurde parallel zu den Entwicklungen in Berlin auch hier schon geäußert. Die Kooperation lag auf der Hand – und hat sich für alle Beteiligten außerordentlich bewährt. Johannes Bernhard vom Badischen Landesmuseum bringt es auf den Punkt: „eine tolle Partnerschaft“! Genau von solchen Partnerschaften lebt das Verbundprojekt museum4punkt0.

Mit dem Anspruch größtmöglicher Partizipation hat das Badische Landesmuseum die notwendige Expertise etwa in Schreibwerkstätten aufgebaut. Eine „Schreib-Community“ von 40 Autor*innen hat die Dialoge für die App zu unterschiedlichen Objekten in diversen Stimmungslagen entworfen. Die Redaktion in drei Schleifen hat 80 Dialoge ergeben –  die auch das Potenzial an kreativen Schreibmethoden im Museum zeigen. Die Nutzung der App kann aber auch kleiner aufgezogen werden, mit weniger Objekten oder für die begrenzte Zeitspanne einer Ausstellung. Auch eine Nutzung für den Außenraum ist denkbar, perspektivisch ließe sich auch über Chats mit 3D-Digitalisaten nachdenken.

Viele Dialoge funktionieren auch unabhängig von der physischen Präsenz im Museum bzw. könnten entsprechend ausgebaut werden. Charmant bleibt natürlich die Dating-Idee, ein Objekt digital chattend im analogen Raum persönlich kennenzulernen. Das Badische Landesmuseum – und viele Interessierte – warten sehnsüchtig darauf, die App im Haus anzubieten, sobald die Türen wieder geöffnet werden können.

Die kreative Weiterentwicklung der App ist für alle Beteiligten nicht abgeschlossen. Für Christiane Lindner vom Badischen Landesmuseum ist die schönste Perspektive das „Potenzial, eine Community zur gemeinsamen Weiterentwicklung zu bilden“. In der abschließenden Diskussion wird die Idee aufgegriffen: „Ping! Die Museumsapp“ könnte zu einem Vermittlungsangebot weiter ausgebaut werden, in dem sich viele Museen vernetzen und immer mehr Objekte zum Sprechen kommen.

In der abschließenden Diskussionsrunde bestätigt sich: Ein digitales Vermittlungsangebot bedarfsgerecht zu entwickeln und umzusetzen, ist ein komplexer Prozess mit vielen Beteiligten. Die kooperative Zusammenarbeit, Bereitstellung und Weiterentwicklung von Projektergebnissen – das alles im engen Austausch miteinander – bietet eine große Chance für die digitale Partizipation, an der sich Museen heutzutage messen lassen müssen. 

Dieses Mal haben wir eine noch differenzierte Umfrage lanciert und folgende Antworten erhalten:  73 % der Teilnehmer*innen haben sich voll, 22 % eher, 5 % teils-teils wohlgefühlt. 59% der Teilnehmenden fanden, dass es genug und  27% eher genug Raum für Gespräche und Diskussionen gab, 14%  beantworteten die Frage mit „teils-teils“.

56% der Teilnehmenden wollte sich insgesamt zum Thema digitale Vermittlung inspirieren lassen, 28% der Teilnehmenden wollte die Veranstaltung dazu nutzen, sich über konkrete Nachnutzungsmöglichkeiten zu informieren und 16% suchten Inspiration für eine eigene Museumsapp. Diese Erwartungen von 54% der Teilnehmenden war voll, von 38% eher voll und von 8% teil-teils erfüllt.

Wir freuen uns erneut über die vielen positiven Rückmeldungen und interessierten Nachfragen. Diese Mal sind wir etwas von unserem übersichtlichen Ablauf Impulsvortrag, Praxisberichte mit anschließenden Fishbowls abgewichen, um dem komplexen Prozess gerecht zu werden, in dem ein innovatives digitales Vermittlungsangebot entsteht. Wir freuen uns, dass es den Beteiligten offenbar gelang, die Teilnehmenden mit ihrer Begeisterung anzustecken und die konkrete Präsentation einer App, die zur Weiterentwicklung bereitgestellt ist, hilfreich war.

Beitrag von: Dr. Maite Kallweit und Dr. Silke Krohn

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