31. März 2022
Technische Umsetzung, Vermittlungskonzepte, Wissenstransfer

museum4punkt0 | impulse: Über 100 Teilnehmende lernen neue Anwendungen kennen

Geschichte digital vermitteln: spielend leicht und wissenschaftlich fundiert. museum4punkt0-Teams präsentieren frisch entwickelte Anwendungen und teilen Praxiserfahrungen.

Gamestation „Leipzig ´89 – Revolution reloaded“
Gamestation „Leipzig ´89 – Revolution reloaded“, Foto: © Deutsches Historisches Museum, Thomas Bruns

Spielerische Zugänge unter der Voraussetzung wissenschaftlicher Genauigkeit. Bewusst leere Assoziationsräume und die Offenheit geschichtlicher Prozesse. Tragweite historischer Entscheidungen und offene Forschungsfragen. Teams aus museum4punkt0 haben die Chance des Digitalen als Raum des Möglichen ergriffen, um historische Zusammenhänge und Forschungsprozesse spielerisch zu vermitteln. In der dritten museum4punkt0 | impulse-Veranstaltung 2022 haben sie ihre prototypischen Anwendungen vorgestellt und Erfahrungen geteilt.

Digital vermittelt: Geschichte als offener Prozess

Elisabeth Breitkopf-Bruckschen und Niels Hölmer von der Stiftung Deutsches Historisches Museum präsentierten „live“ und „im Studio“ die interaktive Graphic Novel „Leipzig ’89 – Revolution reloaded“.

Ausgangspunkt des Projektes war der Inhalt, nicht die Technik. Als Kernfrage legte das Team die Offenheit historischer Prozesse fest und sah im Digitalen die Chance, Möglichkeiten zu konstruieren. Als Weg der Umsetzung wählte das Team um Elisabeth Breitkopf-Bruckschen die Methode der „Serious Games“, die Unterhaltung und Erkenntnisgewinn in der digitalen Vermittlung verbinden. Ziel war es, verschiedene Perspektiven sichtbar zu machen und dabei auch Geschichte „von unten“ zu erzählen. Die Web-Applikation richtet sich an erwachsene Individualbesucher*innen und sollte auch eine neue Zielgruppe erreichen.

Zusammengedacht: spielerische Perspektivwechsel und wissenschaftlicher Anspruch 

Im Format einer interaktiven Graphic Novel können Nutzer*innen des Prototyps in sieben unterschiedliche Rollen schlüpfen. Aus der jeweiligen Perspektive durchlaufen sie den 9. Oktober 1989 in Leipzig. Mit ihren Spielentscheidungen beeinflussen sie den Verlauf der Ereignisse.

Neben zwei Personen der Zeitgeschichte, dem Kapellmeister des Leipziger Gewandhauses, Kurt Masur, und dem damaligen Generalsekretär der SED, Egon Krenz, entwarfen die Historiker*innen des museum4punkt0-Teams vom Deutschen Historischen Museum fiktive Figuren angelehnt an Kollektiv-Biografien. Wie Elisabeth Breitkopf-Bruckschen klarstellte, wurde viel wissenschaftliche Recherchearbeit darauf verwandt, authentische Figuren zu zeichnen. Der gesamte Inhalt, den das Spiel vermittelt, ist Ergebnis wissenschaftlicher Forschungsarbeit.

Und genau hier setzte die spannende Zusammenarbeit mit den Game Producer*innen und Illustrator*innen an: Wie gelingt das Gleichgewicht wissenschaftlicher Seriosität und spielerischer Zugänglichkeit? Wie lassen sich Erkenntnisgewinn und Unterhaltung in der digitalen Vermittlung verbinden? „Das war auch für uns Historiker*innen ein ganz spannender Prozess“, resümierte Elisabeth Breitkopf-Bruckschen.

Liveschalte: Wie „Leipzig 89“ analog und digital verbindet

Niels Hölmer führte die digital Teilnehmenden der museum4punkt0 | impulse-Veranstaltung live durch den Ausstellungsraum und das Spiel. Das digitale Angebot im analogen Ausstellungsraum ist eine Ergänzung des Museumserlebnisses, kein Ersatz. Wichtig war es dem Team daher, das Spielerlebnis im digitalen Raum mit einem physischen Raumerlebnis zu verbinden. Die Raumgestaltung und Soundeffekte originaler Tondokumente ermöglichen ein immersives Erlebnis des historischen Tages. Den Reaktionen der Besucher*innen konnte das Team bereits einen Mehrwert der Rauminstallation entnehmen.

Zudem verknüpfte das Team bewusst Ausstellungsobjekte mit den Figuren des digitalen Spiels: Reale Sammlungsobjekte werden zu Requisiten der Rollen. So erleben Besucher*innen beispielsweise die Ausstattung eines Bereitschaftspolizisten als Helm und Schlagstock der Figur Thomas. Die Perspektive des Polzisten Thomas wurde interessanterweise am häufigsten gewählt. Offenbar besteht bei den Besucher*innen großes Interesse daran, in die Perspektive auf der anderen Seite der Demonstration zu wechseln.

Die Gamestation konnte vier Wochen lang über das eigene mobile Endgerät oder Tablets vor Ort im Deutschen Historischen Museum genutzt werden. Die App „Leipzig ’89 – Revolution reloaded“ kann auch unabhängig vom Raumerlebnis im Museum getestet werden. Das Team evaluiert die Veröffentlichung des Prototyps mittels Tracking, Fokusgruppengesprächen, Screensharing und Feedbackfunktionen (analog und digital). Und damit ging es zurück ins Studio!

Digital vermittelt: Unsichtbarkeit von Geschichte und offene Forschungsfragen

„Wir finden Geschichte an Orten, wo wir sie nicht erwartet haben“, leitete Heidrun Derks von der Varusschlacht im Osnabrücker Land – Museum und Park Kalkriese ein. Sie stellte die App vor, die sie und ihr Team im Rahmen des Teilprojekts Tracking the Past – Vom Forschungsfeld zum Erlebnisraum entwickeln.

Ausgangspunkt ist der 11 Hektar große Museumspark. Zu sehen ist dort „eigentlich nix“, es gibt keine baulichen Überreste. Archäologische Funde, zu sehen im Museum oder im Depot gelagert, deuten auf den Ort der Varusschlacht hin. Noch immer ist der Forschung jedoch nicht klar, was an dem Ort wirklich passierte. Zu der Leere des Parks und den offenen Forschungsfragen kommt für Heidrun Derks hinzu, dass sich das Ereignis der Varusschlacht jeglicher Rekonstruktion entzieht. Das Museum begreift die Leere daher als Metapher für das nicht rekonstruierbare Ereignis und ungelöste Rätsel. Ein bewusst offener Assoziationsraum wird präsentiert, der die Wahrnehmung sensibilisieren und zur individuellen Spurensuche motivieren soll.

Erschließung des Außenraums: spielerisch, individuell, erkenntnisreich 

An die Weite des Außenraumes anknüpfend nutzte das Team die Chance, im Rahmen von museum4punkt0 eine App zu entwickeln. Ziel war es, die Besucher*innen darin zu unterstützen, sich den Museumspark individuell zu erschließen. Die Anwendung macht mit einem spielerischen Zugang den Forschungsraum sichtbar und erlebbar.

Für die Konzeption der Anwendung eruierte das Team zunächst die Erwartungen ihrer Besucher*innen. Apps bieten viele Anknüpfungsmöglichkeiten. Daher stellten sich zunächst die Fragen: Was brauchen wir wirklich? Was wollen unsere Gäste? Diese führten zurück zu den Fragen: Wer sind unsere Besucher*innen? Welche Erwartungen haben sie? Was möchten sie bei uns erleben? Die Besucher*innen des Museumsparks sind teilweise stark vorinformiert, es gibt Expert*innen zum Thema Varusschlacht ebenso wie Interessierte am Ort ohne Vorkenntnisse. Kinder gehören dazu in unterschiedlichen Besuchskontexten und begleitende Erwachsene, die dezidierte Vorstellungen haben: Sie wollen beispielsweise gemeinsam etwas erleben, Wissen mitnehmen und unterhalten werden. Um eine geeignete Anwendung für die unterschiedlichen Besucher*innen-Typen des Museums zu entwickeln, entwarf das Team „Personas“, fiktive Besucher*innen.

Ziel war es, alle Besucher*innen zu Entdecker*innen zu machen. Mit optionalen Vertiefungsebenen begegnet die Anwendung den unterschiedlichen Interessen der Nutzer*innen. Das Grundgerüst des Vermittlungsangebots ist die unterhaltsame Vermittlung von Wissen, der spielerische Zugang. Über diesen sollen die Nutzer*innen auf ihrem jeweiligen Wissenstand für den Prozess der Rekonstruktion und die Forschungsarbeit sensibilisiert werden.

Digitale Entdeckungstour: Archäologische Forschung Schritt für Schritt

Mit dem eigenen Smartphone als Funddetektor bewegen sich die Nutzer*innen im Museumspark zu definierten Aktionsfeldern. Die Funde erzählen jeweils eine spezielle Geschichte. Neben dieser Infoebene bieten die Funde den Einstieg in Spiele, in Touren, in riesige Kontexträume, um Expert*innen kennenzulernen, 360 Grad-Welten zu erleben oder mit einem AR-Filter zu spielen. Jeder der definierten Einstiegspunkte bietet eine eigene Zusammenstellung aus Möglichkeiten.

Das Smartphone als Fund-Detektor, Präsentation: Heidrun Derks (museum4punkt0 | impulse, 23.03.2022)
Das Smartphone als Fund-Detektor, Präsentation: Heidrun Derks (museum4punkt0 | impulse, 23.03.2022), © Varusschlacht im Osnabrücker Land Museum und Park Kalkriese

Die App wird sechs festgelegte Touren anbieten, von „kurz und knapp“ bis „kalkriesig“, mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten. Die fünf Spiele sind als vereinfachte Versionen des Forschungsalltags angelegt: Schritt für Schritt finden die Nutzer*innen eine (digitale) Fundstelle im (analogen) Museumspark, graben aus, restaurieren, bestimmen Funde – und können so spielerisch nachvollziehen, wie aus archäologischen Fragmenten Geschichte wird.

Wissen teilen, Synergien nutzen

Die kontinuierlich über 100 digital Teilnehmenden der Veranstaltung erhielten Einblicke in die Entwicklung von zwei ganz unterschiedlichen Anwendungen, die beide das Unsichtbare und Offene historischer Abläufe konkret und anschaulich vermitteln. In der Reihe museum4punkt0 | impulse geht es vor allem darum, Einblicke in die Projektarbeit zu geben und Erfahrungen zu teilen. In der nächsten Veranstaltung wird es um die Frage gehen, wie sich das Museum mit AR erweitern lässt. Die Anmeldung ist in Kürze auf der Website möglich. Wir freuen uns auf spannende Diskussionen und kollegialen Austausch!

Blogbeitrag von: Dr. Maite Kallweit

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